Fortsetzung...
EVOLVER: Sie empfangen wohl einen japanischen Fernsehkanal?
Gibson: Nein, ich sehe es schon hier und an anderen Stellen und Orten, teilweise in Europa. Wissen sie, die neue Kultur, die kommende Kultur ist hybrid. Sie ist Ost und West, verwoben auf eine Art und Weise, die früher ganz umöglich war und jemanden meines Alters ohnehin außen vorläßt. Ich sehe es bei ganz jungen Kids, die machen einfach keinen Unterschied zwischen "chinesischen", "japanischen" und "kanadischen" Kindern - für sie ist das ganz alltäglich. Meine Tochter ist 17 Jahre alt, und die meisten ihrer Mitschülerinnen sind Chinesen. Und das einzige, was sie auf Chinesisch sagen kann - das kann sie allerdings ziemlich gut - ist: "Fuck off, bitch!" Ich weiß nicht mehr, ob sie´s auf Mandarin oder in einer anderen chinesischen Sprache sagt, aber sie kriegt´s gut hin. Für sie gibt es überhaupt keine "Rassenunterschiede", sie bemerkt es gar nicht, es ist, als ob sie zu einer neuen Welt gehören würde. Dieses kulturelle Gefühl, daß Nationalitäten sich nahtlos miteinander verweben, das gerade erst im Wachsen ist und aus dem Neues entsteht, nehme ich hier wahr, überzeichne es, dehne es etwas und kreiere meine eigene Welt, meine eigenen Geschichten daraus. Solche kulturellen Veränderungen finde ich sehr attraktiv, nicht bedrohlich, und vielleicht geben sie uns einige der Antworten, auf die wir schon lange gewartet haben.
EVOLVER: Sie haben einmal gesagt, als Science-Fiction-Autor müßte man grundsätzlich Pessemist sein. Stehen Sie dieser kulturellen Veränderung, diesem Neuen, nun eher optimistisch oder pessimistisch gegenüber?
Gibson: Ganz pragmatisch. Mein Eindruck ist, daß die jungen Menschen weder leichtfertig optimistisch noch leichtfertig pessimistisch sind. Es ist eher ein gewisser Realismus an ihnen, der mir aus meiner eigenen Jugend nicht bekannt ist; die hatte mehr mit einer Art Idealismus zu tun. Ich nehme an, heute gibt es eher die Tendenz, sich über eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit zu identifizieren - der Nachbar oder Freund von jemand anderem zu sein oder eben dem gleichem "Tribe" anzugehören. Ich beobachte das generell bei jungen Leuten, rund um die Welt: Freundschaft wird ernster genommen als in meiner Jugend. Es ist wichtiger, mit wem du befreundet bist, als was du tust. Ich finde, das ist ziemlich gut.
EVOLVER: Sie haben ein Interview mit dem japanischen Model Kyoko Date, dem ersten virtuellen Menschen, gemacht und sie nach ihrer Blutgruppe gefragt. Was war die Antwort?
Gibson: Ach, ich hab´ vergessen, was sie sagte. Ich habe eine kleine Liste von, wie ich dachte, amüsanten und provokanten Fragen rübergeschickt. Und die Antworten - na ja, ein bißchen langweiliger, und sie wären schon wieder gut gewesen. Aber sie waren eben nur öd, und ich dachte mir nur: "Oh, dear!" Sie ist nicht angemessen ausgestattet. Irgendwo sollte ein wirklich intelligentes Mädchen sitzen, dessen Job es ist, sich nur gute Antworten auszudenken. Das letzte Gerücht, das ich über sie gehört habe, besagt, daß sie von einer großen japanischen Firma gekauft wurde. Ich nehme an, daß sie sie aufrüsten und gesprächiger und vielleicht etwas unterhaltsamer machen werden.
EVOLVER: Das haben wir auch gehört. Okay, was meinen Sie, welche Blutgruppe hat ihre Hauptfigur, Colin Laney, der Netzläufer?
Gibson: Ich kann die unterschiedlichen Blutgruppen und ihre Bedeutung sowieso nie auseinanderhalten. Ich glaube, es gibt zwei Haupttypen und dann noch einen dritten. Der eine ist analytisch und vorsichtig, und der andere ist intuitiv und impulsiv. Laney ist wahrscheinlich eher analytisch und vorsichtig.
EVOLVER: Laney ist eine sehr starke und beeindruckende Figur. Allein seine Fähigkeit, all die Informationen aus dem Netz in Bilder und Geschichten zu übersetzen...
Gibson: ... wahrscheinlich erfand ich ihn aus dem Bedürfnis heraus, mir die Frage zu beantworten, was es ist, das ich da im Grunde tue - im Gegensatz zu meiner traditionellen Rolle als SF-Autor, die mir nie angenehm war. Und als Colin Laney die Doktrin der Knotenpunkte entdeckte, war das für mich die richtige Metapher dafür, wie sich das anfühlt, was ich ursächlich tue. Weil das ja kein sehr bewußter Vorgang ist, und ich glaube nicht, daß es viel mit Science-Fiction-Literatur zu tun hat, wie sie üblicherweise gemacht wird.
EVOLVER: Sie fühlen sich also gar nicht als SF-Autor?
Gibson: Ich bin sicher, man kann jede Menge SF-Autoren finden, die heftig bestreiten würden, daß ich einer von ihnen bin. Die würden sagen: "Ich weiß nicht, was der macht, aber Science Fiction ist das mit Sicherheit nicht. Er hat keine Ahnung von Wissenschaft, und er bricht ständig die Regeln des Genres." Aber natürlich wußte ich, daß ich etwas machte, auf das die Leute reagieren. Laneys Job-Beschreibung beantwortete das für mich. Zum Glück habe ich nicht alle seine anderen Probleme. Doch wir sind uns ähnlich: Beide suchen wir nach Knotenpunkten, und ich verwende sie dann für meine Geschichten.