Kaempf
hatte Tee gemacht. Die beiden Mädchen warteten auf einer zerschlissenen
alten Garnitur artig und mit verstohlenen Seitenblicken, die dem Gastgeber
und Sue gleichermaßen galten, auf das dampfende Gebräu. Die Dürre
nippte einmal - wahrscheinlich aus Höflichkeit -, deponierte ihre Tasse
aber sofort auf einem Bücherstapel, ohne sie auch nur eines weiteren
Blickes zu würdigen. Etwas anderes beanspruchte ihre Aufmerksamkeit:
Hannah schielte auf die Whiskyflasche, die auf dem Kaminsims verheißungsvoll
im Kerzenlicht glänzte.
"Darf ich ihnen ein Glas
anbieten?" erfaßte Kaempf die Situation.
Noch bevor Sue protestieren
konnte, nickte die Dürre. Ihre Augen weiteten sich, als Kaempf ihr
ein volles Glas reichte.
Der übliche befangene
Smalltalk konnte nicht verhindern, daß das Telefon in Sues Gehirn
herumgeisterte und ständig mahnte, daß es endlich in Betrieb
genommen werden wollte. Doch plötzlich schien niemand im Raum mehr
an diesem praktischen Kommunikationsmittel interessiert zu sein, und jeder
mochte seine eigenen Motive haben, es zu ignorieren: Kaempf warf Sue Blicke
zu, die sie zu deuten wußte und auch erwiderte; Hannah war völlig
mit sich und dem Whisky beschäftigt; und Miriam schien - wie so oft
- in eine andere, schönere Welt eingetaucht. Ihre leeren Augen hingen
dem geheimnisvollen Traum nach, der sie vor Jahren stumm gemacht haben
mußte.
Das schwache Motorengeräusch
eines in weiter Entfernung vorbeifahrenden Wagens ließ Sue kurz
aufhorchen. Ob
die Platinblonde mittlerweile Hilfe gefunden hatte? Die Frage blieb irgendwo
in ihrem Inneren stecken, ohne daß Sue die Konsequenzen einer möglichen
Antwort weiterzudenken imstande war. Vielleicht, weil eine andere Frage
sie beschäftigte: Wie sollte sie Hannah loswerden, deren Ausdünstung
das ihre zur schlechten Luft hier drinnen beitrug? Aber nicht nur das
- die Dürre war betrunken und warf nun giftige Blicke auf das Paar
in der Mitte des Raums. Miriam indes war noch immer völlig in sich
versunken. Sue suchte wieder nach Worten, um ihre Gefühle für
das Mädchen auszudrücken, aber sie fand keine. Sie hatte das
Mädchen ganz einfach vom ersten Augenblick an gern gehabt -
vielleicht, weil nur ihre Augen sprachen und sie sonst die Klappe hielt...
Völlig unerwartet kam Sue die Mahnung der Bruderschaft in den Sinn:
"Du entgehst deinem Schicksal nicht" Gleichzeitig fing sie Kaempfs prüfenden
Blick ein.
"Können Sie ein Bett
erübrigen?" fragte sie ihn und fügte mit einem Seitenblick auf
die Dürre, deren Augenlider sichtlich schwerer geworden waren, hinzu:
"Das Mädchen ist schon ziemlich bedient."
"Ja,
ein kleines Gästezimmer am Ende des Flurs. Es ist aber nicht aufgeräumt;
verzeihen Sie bitte, ein Junggeselle hat..."
"Kein Problem", unterbrach
Sue seine Entschuldigung und wandte sich an Miriam: "Bring´ sie raus
hier!"
"Lassen Sie nur, ich zeig´
den Mädchen..." Kaempfs Worte kollidierten plötzlich mit einem
gellenden Schrei, der aus einem anderen Raum des Hauses zu ihnen drang.
Sue fuhr unweigerlich zusammen. "Ihre Mutter, Mr. Bates?" fragte sie,
als die Schrecksekunde vorüber war. Ihre Augen suchten die von Kaempf.
Der starrte scheinbar gedankenverloren zur Tür. "Keine Angst, es
ist nichts", murmelte er, "Nur ein ... Experiment, das ich derzeit im
Keller durchführe." |