Beinahe
verrückt vor Angst stieß die Dürre auf ihrem Paniklauf
durchs Haus sämtliche Türen auf, die sie in der Dunkelheit als
solche erkannte. Ohne auf die Lichtverhältnisse zu achten, stürmte
sie unvorsichtig in jeden Raum - ein hysterisches Tier, das verzweifelt
nach einem Ausgang aus dem Labyrinth suchte. Wieder öffnete Hannah
eine Tür und machte einen Schritt ins Dunkle, um den Lichtschalter
zu finden, doch diesmal gab der Boden unter ihren Füßen nach.
Sie ruderte kurz mit den Armen, suchte instinktiv nach Halt und fiel den
Bruchteil einer Sekunde später in ein dunkles Loch, das sich plötzlich
aufgetan hatte, um das panische Tier zu verschlucken.
*
Sue
kam Hannahs Ohnmacht wie eine Ewigkeit vor. Aber nun war die Dürre
unten in dem dreckigen Kellerloch endlich erwacht.
Es erstaunte Sue, daß
sie, befreit von jedem physischen Ballast, trotzdem in der Lage war, das
Verhältnis von Raum und Zeit in der gewohnten Form wahrzunehmen. Ihr
dematerialisiertes Ich schwebte knapp über der blutverschmierten Hannah,
und es hätte diesem wimmernden Stück nur allzu gern den Todesstoß
verpaßt. Aber wie? Sues Haß steigerte sich in blinde Wut. Jetzt,
in diesem Augenblick, da ihre Lust, die Dürre mit einem Lächeln
im Gesicht umzubringen, kaum mehr zu bremsen war, fehlten ihr die profansten
Mittel: zwei Hände, die sich um einen schmutzigen Hals legten und
mit aller Kraft zudrückten.
Sue, die noch vor kurzem
beinahe begonnen hatte, den Zustand der absoluten Schwerelosigkeit, das
Abfallen alles Irdischen, zu genießen, verfluchte jetzt ihre Unfähigkeit,
eine konkrete Handlung zu setzen. Und sie wünschte sich nichts mehr
als ein Werkzeug, mit dessen Hilfe sie ihren Hunger nach Tod und verwestem
Fleisch stillen konnte. Ihre astrale Kraft konzentrierte sich auf diesen
Wunsch, bis mit einem Mal ein Keuchen auf der Kellertreppe zu vernehmen
war. Ein gewaltiger Schatten tauchte plötzlich hinter Hannah auf,
gefolgt von einem laut ächzenden Fleischberg, der den einzigen Ausgang
versperrte. Sue spürte die Aufregung des Monsters, sein klopfendes
Herz, dessen Frequenz sich auf sie übertrug. Und noch bevor sie sich
darüber wundern konnte, daß ihr Körper - wo sie doch genaugenommen
gar keinen mehr besaß - diese Schwingung wahrnehmen konnte, vollzog
sich der Wandel: Langsam veränderte sich die Sphäre, wurde zum
gewaltigen Strudel, der alles mit sich riß, und mit einem Mal tauchte
sie in diesen unförmigen, monströsen Körper ein, dessen
Seele so tot war wie Sues physische Hülle, die im Wohnzimmer des unheimlichen
Hauses kalt und steif auf dem Boden lag.
Die
Verwandlung war so rasend schnell vor sich gegangen, daß Sue völlig
desorientiert nach Anhaltspunkten suchte: Wie funktionierte die Motorik
ihres neuen Körpers? Was passierte, wenn sie die Stimmbänder
in Schwingung versetzte? Plötzlich bekam sie Angst vor der ungewohnten
Situation - furchtbare Angst, die nicht geringer war als die der Dürren,
die angesichts der Gefahr schrille Schreie ausstieß. Doch letztendlich
schlug Sues Verwirrung wieder in blinde Wut um. Noch bevor Hannah reagieren
konnte, hatte sich Sue in ihrem Hals verbissen. Zwei kräftige Kiefer
verwandelten die Kehle des Mädchens innerhalb weniger Augenblicke
in einen blutigen Brei. Die Dürre sackte zu Boden, und im selben
Augenblick stieß Sues astrales Ich noch tiefer in den unförmigen
Körper vor. Sie genoß jeden Atemzug, und das dumpfe Pochen,
das die Kraft des Blutes in ihren Ohren verursachte, trieb sie an, so
schnell wie möglich ein neues Opfer zu finden. Ihre Seele war nun
fest im Fleisch des Monsters verankert, und ein unbeschreibliches Glücksgefühl
erfüllte sie beim Anblick der halbtoten Dürren, die am Boden
des dreckigen, feuchten Kellers in den letzten Zuckungen lag...
Sue hätte am liebsten
auf der Stelle ihrem Verlangen nachgegeben, das Geschlecht des neuen Körpers
zu ergründen, all den Geheimnissen auf die Spur zu kommen, die sich
im Fleisch der sterbenden Dürren offenbaren würden. Doch ein
dünner, milchiger Schleier hatte sich über die Szene gelegt,
und gleichzeitig war ein Teil ihrer Wahrnehmung wie ein Periskop aus dem
Organismus gefahren. Sue konnte nun sehen, wie Miriam unten im Bett die
Augen aufschlug. Das Mädchen versuchte in der Dunkelheit auszumachen,
woher die Schreie gekommen waren. Sie waren nur gedämpft zu ihr gedrungen,
aber doch laut genug, um Miriam ahnen zu lassen: Jemand hatte geschrien,
weil er Angst gehabt hatte - jemand, der nun tot war. |