Fortsetzung...
Das Buch folgt dem jungen Ich-Erzähler auf seiner blutigen Spur an der Seite der Freischärler unter dem berüchtigten Quantrill. Mit jedem zündenden Satz verbrennt Woodrell dabei die Hollywood-Klischees über den Sezessionskrieg. "Die Amerikaner haben sich über das Buch zu Tode erschreckt, weil es vom Standpunkt der Südstaaten geschrieben ist", sagte Woodrell im Interview. "Ich bekam keine Rezensionen nördlich der Dixon-Linie. Keiner wollte wissen, was hier wirklich los war. Es war wie in Bosnien." Die Sprache des Romans ist filmisch und hypnotisch. Der 35-Millionen-Dollar-Film floppte in den Staaten ebenso wie das Buch, das in der Erstauflage gerade einmal 2600 Exemplare verkaufte.
Die beiden nächsten Shade-Romane liefen ebenfalls nicht besonders. Einigen verblödeten Kritikern galt Woodrell gar als eine Art James Lee Burke ohne Abitur. "Ich war so wütend, daß ich vier Jahre nichts mehr schrieb. Ich wollte nur einige dieser Rezensenten treffen und ihnen die Scheiße aus dem Leib prügeln." Dann schlug Woodrell mit "Stoff ohne Ende" zu - einem Country-Noir, in dem er seine Technik perfektionierte, jedes Kapitel wie eine Kurzgeschichte aufzubauen: kurz, abrupte Eröffnungen, schnelle Schlüsse. Das Ganze ist allerdings mehr als nur die Summe seiner Einzelteile; Woodrell hält dabei stets die Regeln des Noir-Romans ein. Die Verdammten bleiben bei ihm verdammt; keine heruntergekommene Nutte wandelt sich zur treusorgenden Hausfrau; der Autor mißachtet jede einengende Tradition und romantisiert seine Außenseiter nicht. Wenn sie jemanden umlegen und verbuddeln, beten sie nicht am Grab, sondern pinkeln auf die Leiche. Sie leben hart und schnell, saufen, schlucken Drogen, taumeln zwischen Hoffnung und Fatalismus und träumen Träume, die regelmäßig zusammengetreten werden: "Daß ihr Traum nur eine Phantasie ist, an der man sich eine Weile festhält, die aber eines scheußlichen Nachts, ein Stückchen weiter die Straße des Lebens hinab, erschlaffen und sich um ihren hübschen Hals zusammenziehen wird."
Endgültig als Poet des Trailer-Park-Trash abgestempelt, kann Woodrell mit dieser Schublade heutzutage mehr schlecht als recht leben. Neben der "Jerry Springer Show" und den neuen Trash-Bands ist er zum herausragenden Protagonisten des häßlichen Amerikaners geworden, mehr noch als sein kaum weniger begabter Kollege Joe R. Lansdale (siehe EVOLVER-Review von "Drive-In"). Woodrell schreibt wie ein Bastardsohn von Raymond Chandler und Erskine Caldwell. In seinen Dialogen, Bildern oder Vergleichen wird der Einfluß von Chandler deutlich, ohne daß Woodrell jedoch zum Epigonen wird: "Ich sah ihn an und dachte, es stimmt wohl, daß uralte Menschen plötzlich wieder wie Kinder aussehen können, wie wenn bei einem Auto der Kilometerzähler umspringt und wieder bei Null anfängt. Nur daß es inzwischen ein klappriges Vehikel ist."
"Tomato Red" ist noch düsterer als "Stoff ohne Ende", der ebenfalls in West Table spielt, wo die eiserne Regel gilt: Du bist das, wo du geboren wurdest. Und wenn du im Slumviertel Venus Holler geboren wurdest, bist du gar nichts. Dort ist man nicht so anmaßend, leben zu wollen, dort ist man froh, zu überleben. Der "Held" Sammy ist natürlich wieder ein echter Verlierer, der in die Fallstricke des Noir-Romans gerät: Sex und Gewalt. Aber Sammy verkündet auch die Erkenntnisse eines Linksaußen, der jeden Glauben an gesellschaftlichen Fortschritt verloren hat: "Die Reichen können sich entspannt zurücklehnen. Wir können nie einen richtigen Krieg gegen sie anzetteln. Denn die Reichen können uns jederzeit kaufen, damit wir uns gegenseitig umbringen."
Woodrell ist das Sprachrohr für die, die nichts mehr zu verlieren haben. Für den Poeten des Lumpenproletariats gilt, was er über sein Alter ego in "Stoff" protokollierte: "Er lebte den Schund, den er schrieb."
WOODRELLS ROMANE
Cajun Blues ("Under the Bright Lights", 1986); Heyne, 1994, vergriffen
Zum Leben verdammt (Woe to Live On, 1987),
rororo 22336
Zoff für die Bosse (Muscle for the Wing, 1988) vergriffen
John X. (The Ones You Do, 1992), Rowohlt Paperback
Stoff ohne Ende (Give Us A Kiss, 1996), rororo 22773
Tomato Red (Tomato Red, 1998), Rowohlt Paperback
Im Internet-Magazin "Kaliber 38", einer der informativsten deutschsprachigen Web-Plattformen in Sachen Kriminalliteratur, gibt es außerdem zur Zeit Martin Comparts Porträt über Tim Willocks zu begutachten.