Blutgericht im Autokino

Sie glauben wirklich alle Gesichter des Horrors zu kennen? Dann haben Sie Joe R. Lansdale noch nicht gelesen. Hiermit laden wir Sie zu einem Besuch ins Autokino ein, den Sie garantiert nicht so schnell vergessen werden.

Joe R. Lansdale zählt zu den facettenreichsten Vertretern der schreiberischen Zunft. Ob Western, Horror oder Krimi - der Texaner mit dem schwarzen Gürtel hat schon alles gemacht und war damit erfolgreich. Zuletzt durfte man in "Schlechtes Chili" in die Redneck-Phantasien Lansdales eintauchen; jetzt ist es an der Zeit, einen seiner Klassiker genauer unter die Lupe zu nehmen.

Für Willard, Bob, Jack und Randy, die Helden von "Drive-In", ist es das höchste der Gefühle, jeden Freitagabend bei der allwöchentlich stattfindenden "B-Movies-Night" im legendären Orbit-Autokino zu verbringen. Trashige Monster, geile Aliens oder verrückte Wissenschaftler stehen dort genauso auf dem Programm wie Psychopathen mit einem Faible für Heimwerkerutensilien oder recht spärlich gekleidete "chicks with guns". Doch an einem dieser Freitage läuft alles anders als sonst, denn ein riesiger Komet taucht über dem Orbit auf und zeigt den verwirrten Kinobesuchern seine Zähne. Zuerst sind alle nur etwas verwirrt und glauben Opfer einer Halluzination geworden zu sein. Als sie dann aber entdecken, daß das Kino von einer riesigen, puddingartigen, todbringenden Masse umhüllt ist, wird den Kinobesuchern doch etwas mulmig zumute.

Nachdem sich die Anwesenden mit dem Gedanken angefreundet haben, hier die nächsten Stunden bis zum erhofften Eintreffen der Nationalgarde verbringen zu müssen, ist die Stimmung zwar etwas gedrückt, aber man ist noch guter Dinge. Immerhin gibt es Gratis-Hot-dogs und Popcorn. Bloß ... die Nationalgarde kommt nicht, und aus den Stunden werden Tage. Irgendwann geht dem Kiosk-Manager schließlich der Nachschub aus - und der Spruch "Ich hab dich zum Fressen gern" gewinnt immer mehr an Bedeutung.

Wieder einmal führt Lansdale den Leser in sein liebevoll gezeichnetes Reich der verschrobenen Hinterwäldler und paranoiden Kleinstadtbewohner, bei denen Rassismus, Gewalt und Verbrechen zum Alltag gehören. Verglichen mit den dort beheimateten Rednecks wirken die zwielichtigen Gestalten aus Filmen wie "Deliverance" oder "Hunter´s Blood" allerdings wie die netten Leute von nebenan. Die Protagonisten und ihre aberwitzigen, von schmutziger Phantasie und unterdrücktem Haß erfüllten Dialoge wirken dermaßen realistisch, daß man das Gefühl bekommt, es handle sich um ein paar längst vergessene Jugendfreunde.

Wer sich ein wenig in der Welt des "anderen Films" auskennt, für den ist "Drive-In" zusätzlich eine wundervolle Hommage an Klassiker wie Romeros "Night of the Living Dead" oder Tobe Hoopers "Texas Chainsaw Massacre". Während des gesamten Romans hören die Filmprojektoren nämlich nicht damit auf, weiterhin ihren Trash auf die Leinwände zu projizieren. So kommt es, daß Donnelys "Toolbox Murderer" tagelang sein Unwesen treiben und dabei hübschen Frauen den Schädel durchbohren kann. Es fällt nicht sonderlich schwer, zu erkennen, daß Lansdale die Vorliebe für solche B-Movies mit seinen vier Protagonisten teilt.

Selbst nach zwölf Jahren hat "Drive-in" nichts von seiner eigenartigen Faszination eingebüßt. Es führt uns in eine Dimension des Horrors, die von Kollegen Lansdales - wie Stephen King oder Clive Barker - genauso geschätzt wird wie von Millionen von Lesern. Sie serviert uns die schlechtesten Eigenschaften der Menschheit auf dem Präsentierteller und hält der Gesellschaft zynisch einen Spiegel vors Gesicht. Wenn es hier zu extremen Gewaltausbrüchen oder blutrünstigen Anfällen von Kannibalismus kommt, dann sind diese stets nachvollziehbar, selbst wenn sie in unrealistischem Umfeld passieren. Besorgen Sie sich lieber schnell ein Exemplar, bevor auch Sie ein Opfer des Popcorn-Königs werden.

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Über den Autor:
Joe R. Lansdale ist Texaner und Autor von Romanen und unzähligen Kurzgeschichten. Er schreibt Western, Science Fiction, Crime, Horror und Fantasy und hat in den meisten Genrezeitschriften veröffentlicht. Seine Geschichten handeln vom Smalltown America, seine neuesten Hap/Leonard-Romane ("Schlechtes Chili" ist vor kurzem auch auf deutsch erschienen), mit denen er sich in die Bestsellerlisten katapultierte, könnte man als "Country Noir" bezeichnen. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem "British Fantasy Award", dem "American Mystery Award" und viermal mit dem Preis der "Horror Writers of America". Joe R. Lansdale lebt mit Frau, Sohn und Tochter in Nacogdoches, Texas.