Daniel Woodrell zählt zu den nach wie vor unentdeckten Vertretern der schwarzen Crime-Brigade. Dieser Mann lebt den Schund, den er schreibt. Grund genug für Martin Compart, den Autor etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
"Der Revolver war im Haus und in ihrem Kopf, und bei jedem neuen Sonnenuntergang spürte ich, daß wir einem richtigen Verbrechen wieder ein Stück näher gekommen waren", berichtet Sammy, Herumtreiber und Ich-Erzähler in Daniel Woodrells Roman "Tomato Red". Zusammen mit der rothaarigen Jamalee und ihrem bildschönen kleinen Bruder Jason ("Im Lebensmittelladen werfen ihm erwachsene Frauen ihre Schlüpfer zu, auf die sie mit Lippenstift ihre Telefonnummern geschrieben haben") schreckt er vor nichts zurück, um an ein besseres Leben zu kommen. Denn die Geschwister stammen aus Venus Holler - und wer von dort kommt, hat nichts zu verlieren. Venus Holler ist der Slum der fiktiven Stadt West Table, die wohl einiges mit West Plains, dem Wohnort des Autors, gemeinsam hat. Woodrell-Fans kennen dieses Dreckloch noch aus seinem vorherigen Roman "Stoff ohne Ende", der sich ebenfalls als typische Loser-Geschichte präsentierte.
Daniel Woodrell berichtet aus einer Hölle, die Ozarks heißt und im südlichen Missouri liegt. Dort gibt´s reichlich Wälder, Hügel, ein paar stinkreiche Ausbeuter, korrupte Bullen, debile Hillybillys und jede Menge White-Trash-Clans, die sich gegenseitig die Marihuana-Ernten abjagen und die Schädel wegschießen. "Die Ozarks sind die perfekte B-Seite eines Großstadtmolochs", schreibt der Krimiautor. Mit genügend Bargeld kann man sich hier von allem - selbst einem Haftbefehl - problemlos freikaufen, denn auch in den Ozarks regiert der Mammon. Zwischen den undurchdringlichen Wäldern findet man Herrenhäuser, verkommene Farmen und kleine Städte voller Slums, in denen "Schuppen die Gegend überziehen wie Pockennarben und massenhaft Kinder ausbrüten, mit denen der Rest der Welt klarkommen muß".
Die Menschen leben hier in einem Paralleluniversum aus Trailer-Parks und Nachtjackenviertel, fernab jeglicher Mainstream-Kultur. Von den "Normalos" erwarten sie nur Ärger, denn die stecken sie in den Knast, verpassen ihnen Strafbefehle oder nehmen ihnen ihr bißchen Land weg. Also leben sie nach ihrem eigenen Wertesystem. Die Waltons würden von ihnen wahrscheinlich geteert und gefedert. Doch selbst in dieser Elendszone gibt es noch schlimmere Hinterhöfe. Genau hier durchwühlt Woodrell die Mülltonnen für seine Noir-Romane und Sittengemälde aus der amerikanischen Jauchegrube.
Daniel Woodrell, geboren 1953, ist ein Kind der 60er, aufgewachsen in den Ozarks in einer Familie, die den Vietnamkrieg ganz in Ordnung fand. Mit siebzehn ging er zu den Marines; anschließend hatte er mächtig mit Drogen und Subkulturen zu tun. "Seit fast zwanzig Jahren arbeite ich freiberuflich", erzählte er einmal. "Habe es nie in einem Job ausgehalten. Der Rekord waren sechs Monate. Tja, man muß für die Schriftstellerei alles geben. Entweder schwimmen oder absaufen."
Schließlich landete der Outsider in einem Schriftsteller-Workshop in Iowa: "Mit meinem Blue-collar-Hintergrund paßte ich denen nicht. Sie wollten mich nach der Hälfte rausschmeißen, aber ich blieb einfach." In dieser Zeit schrieb er seinen ersten Roman "Cajun Blues", Teil eins seiner "Shade-Trilogie", den er erst 1985 verkaufen konnte und der fast unter Auschluß der Öffentlichkeit erschien. Jahre des Schreibens und der Frustrationen folgten, in denen jedes seiner Bücher ein kommerzieller Mißerfolg war. Auch Woodrells zweites Werk, gerade von Ang Lee als "Ride with the Devil" verfilmt, war ein Flop, obwohl es sich dabei wahrscheinlich es um einen der besten Bürgerkriegsromane handelt (der als Western nur mit Cormac McCarthys Klassiker "Blood Meridian" vergleichbar ist).