Fortsetzung...

"Thomas Bernhard war Noir-Autor"

Martin Compart im EVOLVER-Interview

EVOLVER: Wie sind Sie eigentlich zum Thema Krimi gekommen? Welche waren Ihre ersten Begegnungen mit dem Genre?
Compart:
Also, meine ersten Krimierfahrungen waren Enid Blyton und der übliche Kinderkram. Dann kamen Comics dazu. Durch einen holländischen Brieffreund habe ich recht früh die frankobelgischen Comics entdeckt, unter denen es auch eine ganze Reihe guter Crime- und Abenteuer-Comics gab ("Valhardi", "Ric Hochet", "Guus Slim" usw). Irgendwann stolperte ich dann am Bahnhof über einen verlockenden Drehständer mit einigen Ullstein-Krimis. Der erste Titel, den ich mir gekauft habe, war "Ein Sarg aus Hongkong" von James Hadley Chase. Zuerst verstand ich nur Bahnhof und war glatt überfordert. Dann fand ich unter dem Bett meiner Mutter eine ganze Kiste mit dieser "Schundreihe"; alles da: Carter Brown, Spillane, Chase, Henry Kane. Erst haben mich nur die Cover angemacht - aber dann war es bald um mich geschehen. Ich konnte es kaum abwarten, bis die Schundkiste wieder aufgefüllt wurde. Und als ich meinen ersten Chandler gelesen hatte, war die Welt endgültig verspielt. Ich war süchtig geworden.

EVOLVER: Können Sie uns die wichtigsten Stationen Ihrer Karriere nennen?
Compart:
In München an der Uni gründete ich die "Arbeitsgemeinschaft Kriminalliteratur". Wir photokopierten und verschickten Rundschreiben. Das hatte natürlich einzig und allein den Grund, an kostenlose Rezensionsexemplare zu kommen. Aber es gab auch schon Kritiken darin, die Kriminalliteratur auf einem anderen Niveau besprachen, als das sonst so üblich war.
Jörg Fauser war zu diesem Zeitpunkt in Berlin Kulturchef des "Tip". Ihm hatte ich einen Artikel über Krimis andrehen können. Als Ullstein einen neuen Krimilektor suchte, fragten die auch beim "Tip" an, ob die jemand wüßten. Fauser und Werner Mathes (heute Deutschlandchef des "Stern") gaben meinen Namen weiter. Und so kam ich in die engere Wahl. Ullstein hatten wir ein paarmal in den Rundschreiben angepißt, weil die in der Innenklappe ihrer Bücher eine Marlboro-Reklame abdruckten - das störte uns nicht wegen des Rauchens, sondern wegen des Konzerns. Der Ullstein-Boß Niemann kannte also zumindest meinen Namen.
Ich flog also nach Berlin, Sommer ´82, kurz nach dem Reagan-Besuch, glaube ich. Auf dem Weg vom Flughafen zu Ullstein sah ich ein paar qualmende Autowracks und dachte: Mann, hier geht´s ziemlich ab. Dann traf ich mich mit Niemann und Mönninghoff - Pressesprecher und Cheflektor - im Springer-Presseklub. Und da fragt mich Mönninghoff doch glatt, ob ich einen Ullstein-Krimi kenne, der in Berlin spielt. Ich dachte, der will mich verarschen, und erklärte ihm dann den kompletten Ross Thomas - und für wie beschissen ich die Kürzungen hielt. Ich kannte so ziemlich jeden Ullstein-Krimi; das konnten die kaum fassen. Also bekam ich den Job. Studium ade. Was wollte ich mehr erreichen, als Herausgeber meiner Lieblingsreihe werden?
Aber ich war auch ziemlich dumm. Ich dachte, ich würde den ganzen Tag englische Krimis lesen und dann entscheiden, welcher bei Ullstein rauskommen sollte. Ich müßte das gelesene Buch nur irgendwo in einen Schlitz werfen, und irgendwann würde es sich dann zu einem Ullstein-Krimi transformieren. Ich hatte null Ahnung, und Mönninghoff bekam das natürlich mit. Er ermunterte mich mit den schönen Worten: "Entweder du packst das in sechs Wochen, oder du fliegst." Zum Glück hatte ich große Unterstützung von den Leuten im Verlag, allen voran Jutta Wannenmacher, die auch mal die Krimis gemacht hatte und für einige der besten Klappentexte verantwortlich gewesen war (Spillanes "Das Unding" etwa). Übrigens hat sie quasi im Alleingang den Seeabenteuerroman bei Ullstein etabliert.

EVOLVER: Sie haben ja auch noch andere Krimireihen betreut. Können Sie uns vielleicht etwas über die Geschichte der "Schwarzen Serie" im Bastei-Verlag erzählen?
Compart:
Nach der Fusion mit der Fleißner-Gruppe waren Niemanns Tage bei Ullstein so gut wie gezählt, und ich ahnte, daß es nicht so weitergehen würde. Inzwischen hatte ich auch neue Reihen konzipiert und betreut: "Populäre Kultur" und "Ullstein Abenteuer" (wo die genialen "Flashman"-Romane erschienen). Da bekam ich von Bastei ein verdammt gutes Angebot und bin also nach Bergisch Gladbach.
Vom damaligen Verlagsleiter Rolf Schmitz bekam ich gleich Carte blanche. Das war ebenfalls ein guter Mann und guter Typ; ich hatte bis dahin eigentlich immer Glück mit meinen Verlagsleitern. Leider hatte mich der ebenso mächtige wie überschätzte Vertrieb wegen eines Mißverständnisses auf dem Kieker, und deshalb setzte man sich nicht genügend für meine Reihen ein (neben der "Schwarzen Serie" noch "Polit-Thriller" und "Thriller").
Trotz der beschissenen Cover war man voller Stolz über dieses Prestigeobjekt. Damals hatte es Bastei-Lübbe noch ziemlich schwer im Buchhandel; sie galten neben Heyne als Schmuddelverlag. Heute ist das kaum noch nachvollziehbar - man kann ja von weitem kein dtv-Buch mehr von einem Bastei-Buch unterscheiden (was ich übrigens für fatal halte).
Irgendwann habe ich mich aber auch dort zu Tode gelangweilt und von Gustav Lübbes Schwiegersohn eine Abmahnung erhalten, weil ich - ohne zu fragen - einen Artikel über Krimis im "Börsenblatt" veröffentlicht hatte. Ich dachte mir: Das war´s; Mike Hammer nimmt keine Abmahnungen entgegen.
Drücken wir es selbstkritisch aus: Ich war jung und dumm. Mich interessierten Verlagsinterna einen Dreck; mir ging es nur um die Bücher. Bei Ullstein funktionierte das, weil das ein alteingesessener Verlag mit Profis war, mit denen man raufen konnte, aber im Dienst der Bücher immer am selben Strang gezogen hat. Ich hatte vor fast allen Kollegen tiefen Respekt: Dieter Speck in der Herstellung etwa, oder Holzbein Maier, der legendäre Vertriebschef, der die gesamte Auflage von Kavanaghs "Duffy" über Nacht nach Österreich verkloppte, als die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften das Buch indizierte.
Ullstein war Mitte der 80er der aufregendste Verlag in Deutschland. Alles war möglich - und wir verkauften wie die Bekloppten. Und dann Bastei - die Provinz. Ich hatte noch zuviel Berliner Grandezza im Kopf. Aber letztlich war ich mit Bastei auch ganz zufrieden. Man darf nicht vergessen, daß sich der ganze Riesenladen aus der Zelle Groschenheft und "Jerry Cotton" entwickelt hat. Schon beeindruckend, wie die heute dastehen. Leider gehen noch heute zu viele gute Bücher unter, weil sie oft so merkwürdige Cover und Klappentexte machen.



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Warum?
(easy, 25.09.2001 01:13)

Re: Warum?
(jon doe, 01.10.2001 19:20)

Re: Re: Warum?
(Martin Compart, 02.01.2002 19:09)

Re: Re: Re: Warum?
(Tschombe, 19.06.2003 18:58)

Never Too Late
(Armin Träger:TraegersCorner@gmx.de, 07.01.2006 21:17)