Fortsetzung...

EVOLVER: Wie funktioniert "genre fucking" für Sie bzw. wie sollte dieses Konzept wirken?
Bertram:
Diesen Begriff habe ich erst im nachhinein als ironischen Kommentar zu meiner persönlichen Arbeitstechnik gewählt. Ich bediene mich sehr freizügig, respektlos und lustvoll aus dem Reservoir an Mythen und Motiven der Hoch- und Pop-Kultur - einfach, weil ich die "Simpsons" oder "Blade Runner" genauso schätze wie Thomas Pynchon. Dabei geht es mir darum, die verschmähten, "niederen" Kunstformen aufzuwerten und der sogenannten Hochkultur etwas von ihrer ehrfurchtseinflößenden und letztlich kreativitätshemmenden Heiligkeit zu nehmen und sie dadurch wieder ein wenig aufzupeppen. Ich habe den Eindruck, daß manche glauben, Unterhaltung entstehe automatisch, sobald man nur den Anspruch wegläßt. Dabei scheint es genau anders zu sein; z. B. tragen die besten Komödien auch melancholische Züge, wie etwa die Filme von Woody Allen oder Tim Burton. Derartige Genre-Überschreitungen sind natürlich überhaupt nichts Neues, aber das Verständnis oder die Wertschätzung dafür sind etwas, was ich vor allem bei deutschen Kulturverwaltern eher vermisse.

EVOLVER: Wie kam die Zusammenarbeit mit der Illustratorin Lillian Mousli zustande?
Bertram:
Ich liebe ihren Stil. Sie war meine erste Wahl, als Eichborn vorschlug, das Buch illustriert erscheinen zu lassen; ich hätte ja nie darauf bestanden. Es war schon schwer genug, einen Verlag für den Text zu finden. Ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis, vor allem auch mit dem Cover. Schließlich ging es um Nadines Zeichenstil - und da habe ich mir gedacht: Das kann entweder Lillian Mousli oder gar keine. Im nachhinein bin ich sehr froh, daß der Roman (und die Website) dadurch einen etwas leichteren Touch bekommen haben. Wenn ich das Design alleine gemacht hätte, hätte ich mich wohl für ein Cover im Dave-McKean- oder Nine-Inch-Nails-Stil entschieden, auf jeden Fall wäre alles sehr, sehr düster geworden - und vermutlich wie Blei in den Regalen liegen geblieben.

EVOLVER: Und wie hat diese Kooperation konkret ausgesehen?
Bertram:
Ja, das ist eine merkwürdige Sache: Die realisierten Zeichnungen sind eher klassische, nach der Lektüre entstandene Illustrationen im Comicstil; aber eigentlich auch direkte Umsetzungen von Bildern, die beim Schreiben selbst aufgetaucht sind. Das ist ähnlich wie bei den Musikzitaten im Buch. So habe ich mit Lillian Mousli also eher archäologisch gearbeitet und sie als Medium benutzt, sie quasi gebeten, für mich die bereits mitgedachten Bilder aus meinem Unterbewußtsein wieder hervorzuholen. Eine auch auf erzählerischer Ebene echte Zusammenarbeit mit Comiczeichnern würde ich sehr gerne einmal ausprobieren - ähnlich wie Goldt und Rattelschneck oder eben Neil Gaiman und Dave McKean.

EVOLVER: Wie beurteilen Sie die bisherigen Reaktionen auf Ihr Werk?
Bertram:
Es scheint sehr zu polarisieren - was ich ganz okay finde. Nadine ist ein ungewöhnliches Wesen und nicht für jeden so lebendig wie für mich. Was mich eher stört, sind Begriffe wie "Cyber-Roman," eine gewisse Humorlosigkeit gegenüber dem Begriff "genre fucking" und Vorwürfe in Richtung "Fräuleinwunder-Hype". Ja, es soll tatsächlich junge Frauen geben, die lesen und schreiben und ihre ersten Romane veröffentlichen. Wow. Und sie leben mitten unter uns...

EVOLVER: An welchen Projekten arbeiten Sie zur Zeit?
Bertram:
Im Moment habe ich mich noch nicht entschieden und daher zwei Projekte gleichzeitig angefangen. In einem davon wird es um das menschliche Streben nach Künstlicher Intelligenz und deren dunkle Seiten gehen, was eigentlich mehr mit Künstlicher Dummheit zu tun hat; und im anderen ... tja, das weiß ich noch nicht so genau bzw. will deshalb jetzt noch nicht zuviel drüber verraten. Ich hätte Lust, mal so etwas wie einen "German Psycho" zu schreiben. Mir ist es in der deutschen Literatur grad viel zu kuschelig.




Die ungekürzte Fassung dieses Interviews (mit kompletter Einleitung; sozusagen ein Director´s Cut) wird gegen Jahresende im QUARBER MERKUR erscheinen. Dieses Doppelheft der legendären Zeitschrift von Dr. Franz Rottensteiner wird wieder rund 300 Seiten haben und - wie üblich Aufsätze zur Science Fiction & phantastischen Literatur sowie zahlreiche Rezensionen enthalten; in der kommenden Ausgabe werden sich u. a. Essays zu H. P. Lovecraft, Beheim-Schwarzbach und mehrere Aufsätze über Arkadi & Boris Strugazki finden.
Bezugsquelle:
EDFC e.V. (= Erster Deutscher Fantasy Club)
Postfach 1371
D-94003 Passau
Mail: edfcQedfic.de
Webpage: http://www.edfc.de
Preis: DM 27,50
Kto.: 139 79-856, Postgiroamt Nürnberg, BLZ 760 100 85



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Thx
(nachtschattengewaechs, 18.10.2001 13:27)