Fortsetzung...
EVOLVER: Ihr Schreibstil wird als "posthuman" bezeichnet; steht dies für Sie in Zusammenhang mit dem Spiel des permanenten Zitats, das frei, aber eben nicht beliebig ist?
Bertram: O, ich fühle mich eigentlich noch recht menschlich - ohne mich gleich als Anhängerin eines traditionellen Humanismus outen zu wollen. Aber einige der oft zitierten postmodernen Dikta wie z. B. "anything goes" finde ich schon gründlich überdenkenswert. Nur scheint sich das kaum jemand zu trauen. Es ist ungeheuer schwer, so etwas wie eine "Kritik des Postmodernismus" zu finden, die nicht gleich einen reaktionär-konservativen Wertekodex heraufbeschwört. Es scheint ja auch keine wirklichen Alternativen zu geben. Wir leben nun mal im postmodernen Spätkapitalismus bzw. Neoliberalismus und werden gar nicht gefragt, ob uns das paßt oder nicht. Selbst Rebellion ist schon miteingeplant und bekommt ihren Sendeplatz. Alles ist so glatt, so smooth, ironisch, wechselhaft und unangreifbar, daß jede Kritik daran sofort abrutscht - oder (wie bei "South Park", Harald Schmidt, Schlingensief oder z. B. in der Phantastik) sich so verkleiden und kodieren muß, daß sie fast nur noch für "Eingeweihte" erkennbar ist.
EVOLVER: Fand auf diese kodierte Art und Weise auch der Feminismus Eingang in Ihren Roman?
Bertram: Ich bin primär von der Figur und der Geschichte ausgegangen, habe nach der passenden Story für meine (Anti-?)Heldin gesucht und sie schließlich in dem Motiv der ständigen Verwandlungen gefunden. Natürlich ist Nadine - ebenso wie ich - eine Feministin. Ich finde, daß heutzutage jede halbwegs selbständige Frau eine Feministin ist oder sich als solche bezeichnen sollte, aber das alleine macht uns noch nicht zu besseren Menschen oder Romanautorinnen. Die Diskriminierung von anderen oder Andersdenkenden läuft heute eher subtil ab, z. B. durch Marginalisierung, Exotisierung oder vermeintliche Kooperation. Frauen ziehen leider immer noch häufig den kürzeren, wenn´s um die wirklich interessanten Trauben und Positionen geht, in der Literatur wie im IT-Bereich. Und sie stellen sich leider viel zu oft selbst in den Schatten.
EVOLVER: Wie verhalten sich diese Elemente zu Phänomenen wie "body- & genderswitching" oder "Fluktuation der Identität"?
Bertram: Frauen wird ja gemeinhin eine größere Anpassungsfähigkeit und stärkere Fixierung auf ihre Körperlichkeit nachgesagt... Ich denke, daß ich vielleicht anhand des Beispiels von Nadines extrem realisierter "Fluktuation der Identität" so etwas einmal durchspielen wollte, als eine Art literarische Versuchsanordnung, um zu zeigen, wie so etwas wirklich ist bzw. sein kann, wie es sich anfühlt, solch ein Leben im Dazwischen. "Wanderer zwischen Kulturen" kennen das ja schon länger, und Donna Haraway hat diese möglichen Identitätsprobleme in ihrem "Cyborg Manifesto" z. B. auch auf zukünftige cyber-organische Kreaturen ausgedehnt. Man könnte da noch geklonte oder gentechnisch veränderte Lebewesen hinzunehmen usw. Das Grundproblem bleibt das gleiche - daß uns solche Mischformen und "Andersartigen" immer zugleich faszinieren und verängstigen, obwohl sie uns doch im Kern sehr nahe und gar nicht so anders sind (wie z. B. Nadine). Man muß sich ja nicht gleich (wie Ary) in "das Andere" verlieben, es reicht vielleicht schon, es einfach zu akzeptieren, ohne es anpassen zu wollen.
EVOLVER: In welcher Form spiegelt sich in Ihrem Werk das Verhältnis von "Frau" und Schreiben?
Bertram: Einen Text zu schreiben und sich als Autorin zu bezeichnen, stellt in gewisser Hinsicht immer eine Machtübernahme dar. Wer schreibt, definiert die/eine Realität. Und das ist im Fall von Nadine vielleicht doppelt provokativ, denn so etwas wie sie dürfte es ja eigentlich - nach gängigen Realitätsvorstellungen - gar nicht geben. Es gibt leider in der Literaturgeschichte nicht so viele (gerade für Frauen) wirklich interessante Frauenfiguren. Meist sind sie Superweiber, Göttinnen, Huren, Männeranhängsel oder Opfer. Nadine und Ary sollten da anders sein - und interessante Dinge erleben. So kam ich zum Phantastischen.
EVOLVER: Wie beurteilen Sie das "weibliche Schreiben", speziell im Bereich der SF?
Bertram: Ich glaube nicht, daß es ein speziell "weibliches Schreiben" gibt, vielleicht eher eine spezielle "weibliche Themenwahl", besonders in der Science Fiction. Bei SF-Autorinnen wie Pat Cadigan oder Octavia Butler geht es weniger um tolle technische Geräte als vielmehr um Fragen von Identität(en), (Cyber-)Biologie oder gesellschaftliche Themen. Und das finde ich persönlich spannender zu lesen als beispielsweise SF-Romane der "alten Schule" über Angriffe außerirdischer Supervixens oder ähnliches.
EVOLVER: Wie würden Sie Genregrenzen innerhalb ihres Werkes beschreiben?
Bertram: Auf jeden Fall als fließend. Das ist keine programmatische Absicht, sondern hängt vor allem mit meinen eigenen Interessen und Arbeitsweisen zusammen. Ich lege mich nicht gerne auf eine einzige Sache fest, tanze am liebsten auf drei Hochzeiten gleichzeitig. Was natürlich nie ganz ungefährlich ist...