Interview

EVOLVER: Was können Sie uns über Ihren schriftstellerischen Werdegang erzählen?
Nika Bertram:
Mich hat es immer schon fasziniert, mir "andere Lebensformen" im weitesten Sinne vorzustellen. Vielleicht aus Langeweile, weil ich Mr. Spock und Pan Tau immer interessanter fand als meine kindliche Kleinstadtexistenz in Schlaghosen. Zu dieser Zeit, 1978, ist auch Nadine zum ersten Mal aufgetaucht. Damals war sie allerdings noch eine außerirdische Hexe, die bei L. A. auf die Erde geplumpst war und dort "mancherlei Abenteuer" erlebte.
Später habe ich dann einfach angefangen, diese Geschichten aufzuschreiben - hauptsächlich, um sie nicht zu verlieren. An die Schriftstellerei als Beruf habe ich da noch gar nicht gedacht. Und dann, nachdem ich einige Biographien meiner damaligen Lieblingsschriftsteller gelesen hatte, die allesamt eher tragisch endeten, war mir die Sache mit der "schriftstellerischen Berufung" noch unheimlicher. Welcher Teenie entscheidet sich schon freiwillig für einen Traumberuf mit einer derart hohen Selbstmordrate?
Wie gesagt, das war lange vor der Popliteratur-Welle - damals, als jeder noch Rockstar werden wollte. Das hatte ich auch mal versucht, Sängerin zu werden. Oder Malerin. Ich bin aber dann doch bei der Literatur hängengeblieben und singe jetzt nur noch für mich alleine, abends, zum Entspannen. Irgendwann läuft man halt Gefahr, sich zu verzetteln. Deshalb ist es dann wohl doch besser, daß ich mich aufs Schreiben konzentriert habe. Da habe ich die Freiheit, alles sein und durchspielen zu können, was ich will. Und wenn´s mit der Realität hapert, greife ich eben auf phantastische Elemente zurück. Das hat allerdings nichts mit rein spaßorientierter Beliebigkeit zu tun. Gerade bei phantastischer Literatur muß man sehr genau arbeiten und alle Konsequenzen miteinbeziehen, fast wie beim Schachspielen. Auch wenn es dann vielleicht im Ergebnis anders aussieht: Mit Drogen läuft da nix. Zumindest nicht beim Schreibprozeß selbst.

EVOLVER: Und was bedeutet das Schreiben für Sie?
Bertram:
Literatur hat für mich immer eine ungeheuer subversive Kraft, auch in politischer Hinsicht. Ich finde es schade, daß dieses "subversive Potential" von vielen Schriftstellern überhaupt nicht mehr geschätzt und genutzt zu werden scheint. Literatur sollte nicht in den Wettstreit mit anderen Medien treten, sonst höhlt sie sich selbst aus. Die Fähigkeit, allein mit Text, einem unabhängig rezipier- und lizenzfrei verwendbaren reinen Buchstabencode, Universen schaffen zu können, die LeserInnen zu faszinieren und mehrere Stunden lang zu fesseln, ist doch etwas Wunderbares. Philip K. Dick brauchte dafür nur sehr viel Kaffee, Tabak, eine Schreibmaschine und Papier, Ridley Scott hingegen ein Millionen-Dollar-Budget.

EVOLVER: Warum die Hinwendung zum Genre Science Fiction?
Bertram:
Ich würde mich nicht als SF-Autorin bezeichnen, nicht primär. Ich habe eigentlich erst recht spät zur Science Fiction gefunden, Anfang der 90er, mit "Blade Runner", dem "Hitchhiker´s Guide", Gibson, Elementen bei Thomas Pynchon und den ganzen Cyberpunk-Sachen, gerade auch von weiblichen SF-Autorinnen. Diese Texte und Filme waren eine echte Entdeckung für mich, schienen mir sogar mehr realistisches Potential zu enthalten als viele vermeintlich realistische zeitgenössische Romane. All diese grenzüberschreitenden, "verkannten" Werke aus den phantastischen Genres SF, Horror und Dark Fantasy zu entdecken, war für mich wie eine literarische Frischzellenkur.

EVOLVER: Inwieweit beeinflußt ihre akademische Ausbildung als Bibliothekarin ihre Art zu schreiben?
Bertram:
Ich würde gerne sagen, daß sie mich überhaupt nicht beeinflußt hätte, da ich unter dem Studium eher gelitten habe - aber so einfach komme ich da doch nicht raus, fürchte ich. Ich kann nicht behaupten, ich hätte es nur getan, um einen Brötchen-Job zu haben und meine Eltern zufriedenstellen zu können.
Zum einen war da das schriftstellerische Verlangen, eine Geheimwissenschaft zu erlernen, mit deren Hilfe ich jedes Wissens-Ordnungssystem der Welt verstehen bzw. jedes Buch auffinden können würde. Das war natürlich eine naive Illusion. Bibliotheksarbeit bedeutet eigentlich immer Chaos-Management. Und dies zu beherrschen, ist wiederum eine recht nützliche Eigenschaft für AutorInnen, sozusagen ein Training für den ewigen Kampf zwischen Anarchie und Entropie und das eigene Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit.
Ich finde es auffällig, daß besonders viele phantastische Autoren (Borges, Gaddis, Pynchon, Kafka usw.) sich durch (verwaltungs-)juristische oder technische Ausbildungen gequält haben, und ich glaube schon, daß das auch etwas mit der Suche nach "System"-Schlüsseln zu tun hat.
Zum anderen muß ich aber auch zugeben, daß ich ein absoluter Informations- und Wissens-Junkie bin und ein eher altmodisch-romantisches Verhältnis zur Schrift habe. Ich fühle mich einfach pudelwohl an Orten voller Bücher, Zeitschriften, Papier ... und Computer. Vom Internet habe ich zum ersten Mal 1994 gehört, also zwei Jahre nach meinem Examen. Sonst hätte ich sicher in diesem Bereich etwas gemacht, Informatik studiert oder so. In Mathe hatte ich nie Probleme. Aber es ist halt so gekommen, und vielleicht geht es deshalb in meinem ersten Roman auch mehr um Nadine, ein Wesen aus dem Geiste der klassisch-literarischen Mythen, und Arthur kommt dann beim nächsten Mal dran. Erst die Hexe, dann der Hacker...



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Thx
(nachtschattengewaechs, 18.10.2001 13:27)