Der soeben erschienene Roman "Der Kahuna-Modus" von Nika Bertram, der die Geschichte einer Comiczeichnerin erzählt, stellt inhaltlich wie formal die deutsche Literaturszene auf den Kopf. Lesen Sie hier ein Interview mit der Autorin, nebst einer Vorbemerkung - beides von Thomas Ballhausen.
Vorbemerkung
"Wenn ein Zusammenhang erscheint, scheint er dir verwickelt. [...] Alles, was Du weißt, ist, wenn Du aufwachst, wirst Du darum betteln, wieder zu träumen."
Die Sterne - Zucker
Wie soll man eine Einleitung zu einem Interview mit einer der innovativsten deutschen Autorinnen schreiben, das nicht in der Wahl seiner Worte vor den behandelten Ausführungen kapitulieren müßte? Es kann und darf keine konventionelle Annäherung sein, sondern man muß auch in diesen vorangestellten Zeilen die Technik des behandelten Buches aufgreifen. Mehrere Ansätze wollen ausgetestet werden, von verschiedensten Seiten versucht man sich heranzutasten. Statt die Sache selbst in die Mitte zu treffen, soll man versuchen, ihre Umgrenzungen zu umschreiben - aber nicht im Sinne einer Festschreibung, mehr im Ansinnen, grobe Linien zu ziehen, schreibend in Bewegung zu bleiben. Nika Bertram und ihrem ersten Roman "Der Kahuna-Modus" auf den Fersen bleiben, schließlich außer Puste geraten: Der erste Ansatz hat sich endgültig erschöpft.
Dann einen technischen Ansatz wagen, dem "genre fucking" nachspüren; was heißt das für die für die laufende Debatte um die Positionen des Posthumanismus? Die Zitate sind frei, aber nicht beliebig. Ein Einebnen der Unterschiede zwischen Hochkultur und Populärkultur wird wahrscheinlich, die fließende Grenze endgültig aufgelöst. Die Bereiche reichen vielleicht (noch) nicht ineinander hinein, doch sie wirken über ihre angenommenen Grenzen hinweg. Die klassische Linearität, an der sich die Handlung entfaltet, wird immer wieder unterlaufen. Das damit einhergehende Raum-Zeit-Kontinuum wird pervertiert, ausgeschüttet, in Trümmer gelegt. Die Erzählzeit wird förmlich zerbrochen, der Ort der Handlung verschiebt sich, ist geographisch nicht mehr fixiert; verschiedenste Räume werden an den jeweiligen Orten realisiert: ALLES fließt. Man kann nicht zweimal in das gleiche Buch schauen.
Und wie soll man sich der Handlung vernünftig annähern? Die Protagonistin Nadine ist ein "monster in residence", ein Häufchen Elend auf einem Haufen Bücher, ein Produkt der Bibliothek, die sie immer wieder zurückläßt. Doch auch wenn man das geistige Elternhaus in Schutt und Asche legt, um sich zum Auszug zu zwingen, muß man in der Zwischenzeit irgendwo unterkommen; zumindest solange, bis das neue Kopf-Eigenheim bezugsfertig ist. Nadine durchläuft deshalb verschiedene Level immer schwerwiegenderer Verwandlungen. Diese zielen darauf ab, einen Mythos zu realisieren, nämlich Mann und Frau gleichzeitig zu sein. Die Verwirklichung des "Ich" und die Ermöglichung der Utopie "Glück" in einer taumelnden "Prozac Nation" gestaltet sich für den Transformations-Junkie Nadine alles andere als leicht. Innerhalb dieses Puzzles aus Staub und Sternen bewahrt sich die Protagonistin ihr Recht auf den Rausch der Transformation. So macht sie wahrscheinlich, daß der nüchterne, komplett ernste ZUSTAND das eigentliche Problem darstellt, sozusagen das Problem an sich; sich nüchtern fühlen heißt NICHTS fühlen zu können. Die identitätsstiftende Krise, die im Buch durchlaufen wird, führt zu einer Art Selbstarchivierung der Figur. In ihrer Aufschreibbewegung produziert sie auch das Vollziehen einer subjektiven Einschreibung in den Text: dies wird durch das Herauslösen aus dem klassischen Erzählgefüge ermöglicht.