Viennale-Tips von Klaus Hübner (EVOLVER, TELE)

Nostalgie und Brutalität

Als fleißiger Besucher der Viennale steht man Jahr für Jahr vor derselben qualvollen Wahl: Der erste Durchgang bei der Programmauswahl ist immer der ernüchterndste. Egal, wie grob und fahrlässig man all jene Filme wegstreicht, von denen man nicht überzeugt ist, sie sehen zu müssen, immer bleiben derart viele Arbeiten übrig, daß ein zweiter und meist noch ein dritter Streichungsdurchgang unerläßlich ist. Mein fixes Programm umfaßt heuer 24 Filme, also gut zwei pro Viennale-Tag. Es waren schon einmal mehr, aber Alter und Karriere fressen bekanntlich Freizeit. Und immerhin gelang es mir, nahezu ein Fünftel der Filme, die ich gern gesehen hätte, auch tatsächlich im Programm unterzubringen. Im folgenden ein paar Beispiele inkl. Begründung.

Die innere Sicherheit
Obwohl bei Gott kein Freund des deutschen Kinos, muß ich Christian Petzolds Film über ein alterndes Ex-Terroristenpaar, dem es nicht gelingt, in ein normales Leben zurückzukehren, schon allein deshalb sehen, weil ich mich noch lebhaft daran erinnern kann, wie überzeugt ich in manchen Momenten meiner Mittzwanziger davon war, daß Terrorismus der einzig übrige Weg ist (das war, bevor ich beschloß, Politik restlos aus meinem Leben zu streichen). Ich erwarte mir eine Bestätigung meiner Erkenntnis, daß Gewalt nie eine Lösung darstellt und, einmal angewandt, einen ewigen Schatten über die eigene Existenz wirft. (Ulrike Meinhof werde ich trotzdem weiterhin heimlich verehren - das habe ich von Stefan Aust gelernt.)

The Opportunists
Hier war die Entscheidung einfach: Einen Film mit Christopher Walken würde ich nicht einmal auslassen, wenn er völlig idiotisch ist.

>A Room For Romeo Brass
Filme über den britischen Alltag, oder besser gesagt über die britische Seele, sind diesmal nicht gerade häufig, und weil Mike Leigh mit "Topsy Turvy" heuer eine Thematik bearbeitet, die mich kaltläßt, bin ich froh, daß zumindest Shane Meadows seinem "home turf" treu geblieben ist. Die Originalfassung wird voraussichtlich härteste Konzentrationsarbeit (weil mit einem Simultandolmetsch nicht zu rechnen ist).

Em/Embamingu
Einer der Filme im Tribute-Programm für Shinji Aoyama. Hier überzeugte vor allem die Formulierung "ein Psychothriller voller grausiger Exzesse" im Ankündigungstext; man kann nur hoffen, daß das Versprechen auch eingehalten wird, weil es im Kino schon seit Ewigkeiten nicht mehr zu brutal oder zu grauslich gewesen ist.

I Earini Synaxis Ton Agrofy Lakon
Daß ich vorhabe, mir diese Drei-Stunden-Meditation über das Verebben traditioneller griechischer Lebensweisen reinzuziehen, liegt vor allem daran, daß ich die Insel Chios, wo der Film spielt, intensiv kennengelernt habe - und daß ich mich dort ruhig, frei und unbelastet fühlen konnte. Ein bisserl Nostalgie kann nicht schaden...

Natürlich werde ich u. a. auch Steve Buscemis Animal Factory, Wong Kar-wais In The Mood For Love und vor allem die Dokumentation Mr. Death, von der ich mir einen weiteren Beweis für die fleischliche Existenz des Bösen erwarte, nicht versäumen. Der letzte Termin in meinem Programm für dieses Jahr ist De Gevangenen van Buñuel, eine ältere Doku über jenes Dorf, dessen Bewohnern die spanische Avantgarde-Legende vor 70 Jahren vorgeführt hat, wie schrecklich alles in ihrem Leben ist. Als Wiener kann es einem danach wohl nur viel, viel besser gehen.



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