Ein weiteres Kapital aus der Reihe "festgefahrene Mythen und dauerhaft geprägte Vorstellungen": Von all den (un)schönen Vorurteilchen, die Menschen aufgrund ihrer nationalen Herkunft zugeordnet werden, haben die Bewohner Finnlands die wohl markantesten und schrulligsten abbekommen.

Um nur einiges aus dem Assoziationspool zu fischen: Finnen sind schüchterne Einzelgänger, frieren den Großteil des Jahres, frönen nicht nur zur Wintersonnenwende dem haltlosen Vodkakonsum, neigen zu existenzialistischen Sauna-Sit-Ins oder spinnen überhaupt gleich, weil sich das so schön reimt. Gänzlicher Schwachsinn natürlich. Dennoch scheint es eine seltsame Korrelation zwischen der äußerst geringen Bevölkerungsdichte (für all die Bildungsbürger: knapp fünf Millionen Einwohner auf einer Fläche, die in etwa jener Deutschlands entspricht), der realtiven Isolation, dem daraus resultierenden, stark ausgeprägten Individualismus und einer ausgesucht nonkonformistischen, unnormierten, manchmal schlichtweg durchgeknallten Musik elektronischen Ursprungs, die mit der Wortkrücke "experimentell" nur äußerst unzureichend umschrieben werden kann.

Bestes, weil gleichzeitig bekanntestes und prägnantestes Beispiel für diese Mutmaßung ist Jimi Tenor, weit über die Grenzen Finnlands und Skandinaviens hinaus geschätzte Personifizierung des kauzigen (Anti-)Popstardoms. Bekannt geworden durch den Tanzbodenkracher "Take Me Baby" aus seinem auf dem finnischen Label Sähkö Recordings erschienen Debütalbums „Sähkömies“, arbeitete sich das singende Ein-Mann-Orchester Tenor auf drei weiteren Alben für die britische Elektronikschmiede Warp an seinen eklektischen Songentwürfen zwischen LoFi und SciFi (man erinnere sich an das Video zu "The Year Of The Apokalypse"), Sleazy Listening und retrofiziertem Bontempi-Lounge ab. Das mit Ehefrau und Soul-Chanteuse Nicole Willis und 55-köpfigen polnischem Rundfunkorchester relativ kostenaufwendig produzierte und (im kommerziellen Sinn) nicht sonderlich erfolgreiche Album "Out Of Nowhere", einer Art Ausflug zu größenwahnsinnigem Autoren-Disco-Soul, war dann offensichtlich auch den Label-Verantwortlichen zuviel des Guten. Mittlerweile wieder zu Sähkö (bzw. zu dessen Sublabel Puu) zurückgekehrt, verfolgt Jimi noch immer seinen "Utopian Dream", der inzwischen irgendwie viel zu besserwisserisch und nur noch angestaubt daherkommt. Musikermusik halt. Zwar noch nicht ganz der finnische Mambo Kurt, aber "Intervision" scheint Jahrzehnte an Inspiration zurückzuliegen.

Tenors finnischer Nachfolger auf Warp ist ein Jungspund namens Lassi Nikko, der unter dem Pseudonym brothomStates gleich auf zwei in diesem Jahr erschienenen Werksammlungen (die EP "Qtio" sowie das Album "Claro") Tracks zwischen Warp-immanenter Knispel- und Fiepspuren a la Plaid, Autechre oder Boards Of Canada, funkgestörten Rappelbeats und wohlig-sanften Ambientplüschflächen zusammenschustert. Nicht wirklich neu (vor allem für Warp-Verhältnisse), aber der charmante Teufel steckt auch hier im liebevoll ausgearbeiteten Detail. Beileibe nicht nur Komplettisten sei dieser junge Mann ans Herz gelegt und ins elektronische Stammbuch geschrieben. Für alle, die auf den Geschmack gekommen sind und mal reinhören möchten: Nikkos 1998er Album mit dem wundersamen Titel "Kobn Tich Ey" steht auf der offiziellen Homepage (siehe Linkliste) kostenlos zum Download bereit. So was kann man doch nicht abschlagen.

Wenn schon die Rede von innovativen, querdenkenden Elektroniklabels ist, kommt man natürlich auch um Rephlex nicht umhin, die ebenfalls einen finnischen Soundbastler im Roster haben: Aleksi Kristian Perälä alias Ovuca aus dem polaren Örtchen Kuusankoski. Tja, wie beschriebt man Ovuca am besten? Klang- und Geräuschkulissen aus dem temporären Arbeitsspeicher ausgeweideter Laptops, verwerkt zu arhythmisch-dissonanten Elektroschleudern, Cut-Up-Manie mit ganz wenig Sitzfleisch, noisige Breakbeat-Hochleistungsschau (der Aphex mag so was), dutzende Ideen und Fragmente pro Track, 71 Tracks pro Album ("Onclements"), die Labelmates wie Bogdan Raczynski oder Bodenständig 2000 zeitweise zu schierer Bügelmusik verkommen lassen. In manchen Momenten auch richtig handzahm, verträumt und zugänglich, mit ganz naiven Melodien, wahrscheinlich ein Tribut an die nordische Schwermut. Dennoch: konventionell ist was anderes, Easy Listening auch. Aktuelles, fabelhaft geistesgestörtes Album: "Wasted Sunday".



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Die spin:en, die Finnen ;)
(matti, 31.03.2002 21:58)