Zensur findet nicht statt. Zumindest versucht uns dies ein fadenscheiniger Paragraph aus den hiesigen Gesetzestexten weiszumachen. Wie es jedoch in der Wirklichkeit aussieht, kann in Roland Seims hervorragend dokumentiertem Buch "Ab 18" nachgelesen werden.
Wundern Sie sich nicht auch manchmal, warum so viele gute Filme niemals (oder nur stark verstümmelt) im Fernsehen ausgestrahlt werden, Tom & Jerry mittlerweile ohne Feuer auskommen müssen und Spiele wie "Duke Nukem" in Deutschland nur unterm Ladentisch verkauft werden dürfen? Der Grund dafür ist Zensur - oder, durch die Blume gesprochen: Jugendschutz. Während man jedoch in Österreich weitgehend von den beinahe faschistisch anmutenden Aktionen diverser Moralapostel verschont bleibt, kommen unsere deutschen Nachbarn so richtig zum Handkuß.
Da werden harmlose Videobörsen von der Polizei umstellt, Vertreter diverser Videolabel vom Gericht vorgeladen; und im Extremfall wird ein Regisseur auf die Fahndungsliste gesetzt, wie seinerzeit Jörg Buttgereit für seine nekromantischen Liebeleien (siehe EVOLVER-Rezension von "Nekromantik"). Im schönen Deutschland macht man sich durch die Einfuhr beschlagnahmter Titel sogar als Privatperson strafbar - und hier ist nicht etwa nationalsozialistisches Propagandamaterial gemeint, sondern harmlose Unterhaltung à la "Texas Chainsaw Massacre Teil 2". Man braucht sich nicht zu wundern, daß der deutsche Polizeiapparat bei der Aufklärung realer Verbrechen hinterherhinkt, wenn die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) immer wieder zum Großangriff auf "entartete Kunst" bläst.
Dr. Roland Seim hat diesem "nicht existierenden Phänomen" mit "Ab 18" (Untertitel: "Zensiert, diskutiert, unterschlagen") ein ganzes Buch gewidmet, in dem er zuerst eine kleine allgemeine Einführung in die Geschichte der Zensur gibt, um danach spezifisch auf Beispiele aus der Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland einzugehen.
Neben einigen Anekdoten aus der Welt der Kunst und Literatur widmen sich der Kunsthistoriker Seim und seine Koautoren vor allem den zahlreichen Übergriffen auf all die bösen Filme, Comics und subversiven Musikstücke. Denn wenn die Ärzte über geschwisterliche Zuneigung singen oder Sam Raimi (siehe EVOLVER-Story) die Teuflein tanzen läßt, muß scheinbar immer wieder etwas unternommen werden, um die Volksmoral aufrechtzuerhalten. Wenigstens dürfen sich auch volljährige und wahlberechtigte Bürger dadurch wieder jung fühlen, gehören doch auch sie in diesen Fällen zur zu beschützenden Jugend. Wird nämlich ein Titel oder ein Produkt offiziell von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, so ist dieser/s selbst einem erwachsenen Menschen nicht mehr auf legalem Wege zugänglich.
Außerdem wird in diesem informativen und wissenschaftlich fundierten Werk der Einfluß der Zensur auf die Comicwelt aufgezeigt und anhand einiger konkreter Fallbeispiele dokumentiert. Selbst die Quellensammlung von "Ab 18" sollte gelesen werden, da man hier unter anderem Auszüge aus diversen Urteilen und anderen amtlichen Unterlagen findet, deren Lektüre einem oft die Haare zu Berge stehen läßt.
Es ist fast schon beängstigend, daß man sich auch noch in der heutigen Zeit vorschreiben lassen muß, was man sehen, lesen oder hören darf - ein Umstand, der an die "guten alten Zeiten" erinnert. Fragt sich nur, wann wieder mit den Bücherverbrennungen angefangen wird...
PS: Inwieweit auch die Welt der Kriminalliteratur unter diesen "Jugendschutzbestimmungen" zu leiden hatte, kann übrigens in Martin Comparts "Noir 2000"-Reader (siehe EVOLVER-Rezension) nachgelesen werden.
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