Schwedische Serien-Kriminalistik

Helene Turstens "Die Tätowierung" gehört leider zur Kategorie "gute, schlecht umgesetzte Idee". Das Fertiglesen ist trotz interessant ausgedachter Handlung ein harter Kampf. Dabei hätte es so spannend sein können.

Die schwedische Kriminalinspektorin Irene Huss jagt einen perversen Mörder, der seine Opfer zerstückelt. Von der ersten Leiche ist nur der Torso mit einer auffälligen Tätowierung übrig - welche mit Hilfe der dänischen Polizei die Identifizierung ermöglicht ("Dänemark ist ja kein richtiges Ausland" - das sollte Österreichern irgendwie bekannt vorkommen). Die Ermittlungen verlaufen lange Zeit im Sand, es gibt immer mehr Leichen und keinen einzigen Verdächtigen. Dafür wird Irene Huss überfallen - und gondelt trotzdem allein in der Welt herum, soferne sie sich nicht gerade mit ihrem alkoholkranken Kollegen abplagen muß.

Eine spannende Handlung, guter Stoff für eine tolle Geschichte - sollte man meinen. Die fürchterlichen, atemberaubenden Geschehnisse sind aber so distanziert geschildert und emotionslos (etwa wenn Irene Huss mit einem dänischen Kollegen flirtet), daß man beim Lesen kaum einmal wirklich gepackt wird. Vieles bleibt unerklärt (wie das verdächtige Benehmen der dänischen Kollegen und der seltsame Ruf ihres Reviers) oder ist unwesentlich für die Handlung (wie die Details über den Hund der Familie der Polizistin). Irenes Ehemann Krister kocht im Privaten auch noch gern haubenmäßig auf und tut sich als Weinkenner hervor. Das alles muß das Publikum schlucken, nur um die Kommissarin als einen normalen Menschen zu erleben? Dazu hätten weniger Sätze völlig gereicht. Die Versuchung, nach dem x-ten monographischen Abstecher über die Hundewelpen oder die Zwillingstöchter der Familie die nächsten paar Seiten zu überblättern, ist nahezu unwiderstehlich.

Gut gelernt hat Helene Tursten, daß Gerichtsmedizin und Spurensicherung ihren Teil zur Klärung von Morden beizutragen haben - aber auch dabei geschieht nichts wirklich Spektakuläres. Nur der latente Frauenhaß, der sich aus der Verunsicherung von Irenes Chef gegenüber Frau Dr. Stridner von der Pathologie kristallisiert, fällt auf. Ansonsten aber bleiben Kollegen und Vorgesetzte von Irene Huss seltsam konturlos, ebenso wie Göteborg, wo der Großteil der Handlung angesiedelt ist - abgesehen von ein paar mit platter Absicht eingestreuten Straßennamen, die wohl nur Einheimischen vertraut sind. Dagegen ist Kopenhagen ein einziger Sündenpfuhl für eß- und trinkgenußsuchende schwedische Besucher. Ob der - für Nicht-Skandinavier kaum nachvollziehbare - Unterschied wirklich derart offenkundig ist?

Die Koffein-Sucht der Protagonistin wird dermaßen oft wiederholt, daß jeder WItz verlorengeht. Dazu benimmt sich die Kommissarin geradezu absurd konservativ. Die einzig wirklich unterhaltsame Stelle befindet sich auf Seite 209 im dritten Absatz von unten, wo die Polizisten wegen meuternder Maler-Anstreicher über Farbeimer stolpern - ein Zeichen dafür, wie ungewöhnlich dieses Buch hätte sein können, wenn sich die Autorin mehr Mühe gegeben hätte. Das Motiv wird schließlich - nach der Aufklärung des Falles - sträflich vernachlässigt.

Zurück bleibt - nach den zwei letzten, völlig unnötigen Seiten - ein frustrierendes Gefühl fehlender Befriedigung. Von einer Queen of Crime, wie der Verlag Frau Tursten anpreist, kann nicht die Rede sein. Dieses Buch sollte man sich maximal schenken lassen.

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Helene Tursten: Die Tätowierung
(Kathrin Kienholz, CH-3007 Bern, 23.02.2002 20:30)



Über die Autorin:
Helene Tursten wurde 1954 in Göteborg geboren. "Die Tätowierung" ist nach "Der Novembermörder" und "Der zweite Mord" ihr drittes Buch um die Inspektorin Irene Huss.