Stories_Martin Compart (Hrsg.) - Dark Zone

Licht ins Dunkel

Daß man das noch erleben darf: Nach vierjähriger Durststrecke legt "Deutschlands Krimipapst" endlich einen neuen Reader zum Thema Noir vor. Das Warten hat sich gelohnt.    24.01.2005

Den Namen Martin Compart lassen sich Noir-Aficionados schon lange auf der Zunge zergehen. Vollkommen zu recht, immerhin steht er als Journalist, Autor und Herausgeber seit Jahrzehnten für anspruchsvolle Noir-Literatur, fernab schwülstiger Hausfrauen-Krimis, seichter Bestseller-Massenware und langweiliger Ethno-Krimineser. Neben der bei Fans legendären "DuMont Noir"-Reihe (lesen Sie dazu unser ausführliches Interview, Link siehe unten), gehen beispielsweise auch die "Schwarze Reihe" aus dem Hause Bastei-Lübbe sowie die gelben Ullstein-Krimis mit dem roten K. auf Comparts Konto als Herausgeber edler Mördereien.

Vor fünf Jahren veröffentlichte er mit "Crime TV" DIE Bibel für TV-Serienjunkies und den Noir-Reader "Noir 2000", 2001 gründete er gemeinsam mit Werner Fuchs den Strange-Verlag und feierte mit dem "Sodom-Kontrakt" auch gleich seinen gelungenen Einstand als Romanautor.

Seither sind vier Jahre vergangen, in denen wir nicht nur Figuren wie Captain Blood oder den sagenumwobenen Flashman wieder auf der ansonsten trist gewordenen Bildfläche deutschsprachiger Veröffentlichungen begrüßen durften, sondern auch Ted Lewis immer noch sagenhaften und knallharten Crime-Dampfhammer "Get Carter".

 

Mit "Dark Zone" liegt nun - passend zu Alain Delons siebzigstem Geburtstag - Comparts zweiter Noir-Reader vor. Delon, dessen Antlitz bereits das "Noir 2000"-Cover zierte, prangt naturgemäß auch auf "Dark Zone". Die ersten drei Kapitel stehen dementsprechend ganz im Zeichen von "Le Samouraï". Während sich Hans Gerhold dem Mann und Mythos widmet, zieht Michael Molsner Parallelen zwischen dem eiskalten Engel und "Make my Day" Eastwood. Martin Compart geht schließlich auf die späten Jahre und deren TV-Ausgeburten ein.

Es folgt Ulrich von Bergs ausführlicher und höchst informativer Streifzug (ganze 68 Seiten) durch die Geschichte der Hitman-Filme, bevor sich Joachim Kalka G. K. Chesterton und Sabine Jannssen der Poulpe-Fiktion (eine französische Krimireihe) hingeben.

Danach: elf "Portraits in Schwarz", in denen Compart über Größen wie Lee Child, James Crumley, Charles Willeford oder Dan Simmons berichtet. Wer Comparts flotte und kompetente Feder kennt, weiß was ihn erwartet.

Hat man die ersten 200 Seiten erst mal verschlungen, stößt man schließlich auf Chris Hydes Abrechnung mit "El Loco oder Tarzan im Hurenhaus", bevor sich die drei Folgekapitel ganz der musikalischen Schwärze verschreiben.

Erwin Berlin durchleuchtet die Schattenseiten der Musikindustrie und bietet daraus resultierend auch gleich sieben Masterplots, Myron Bünnagel parliert über den Dream City Film Club und Werner Schmitz würdigt den Komponisten Ron Greiner, auf dessen Konto unter anderem die Titlemedley zur Sechtziger-Jahre-Kultserie "Man in a Suitcase" geht.

Im letzten Abschnitt wird schließlich über den literarisch-, musikalischen Tellerrand geblickt. Bünnagel widmet sich "Max Payne", einer durch ihre Atmosphäre bestechende Game-Reihe, sowie deren dunklen Spießgesellen. Mit dabei natürlich Nummer 47 (die grandiose Hitman-Reihe), Clive Barkers "Undying", "McGee's Alice" und, und, und.

Peter Hiess und Thomas Ballhausen tauchen danach in Warren Ellis' abgründiges Comic-Universum ein, um daraus ebenfalls schwarze Schätze ans Tageslicht zu befördern.

Last but not least gilt es für Werner Fuchs und André Wiesler Noir-Elemente innerhalb des SF-Romans aufzudecken, bevor Myra Çakan schließlich John Shirley, den "Granddaddy of Cyberpunk" zum Gespräch bittet.

 

Mit "Dark Zone" hat Compart wirklich ganze Arbeit geleistet. War der abgedeckte Themenkreis von "Noir 2000" - im Vergleich - noch eng gesteckt, so holen er und seine Recken im aktuellen Reader zum informativen Rundumschlag in Sachen Genreaufarbeitung aus. Zwischen den Tonnen von zusammengetragenem und optisch ansprechend aufbereiteten Wissen, finden sich immer wieder Zitate, Photomaterial, Cover, Links und ... natürlich mit einem Augenzwinkern unterlegte Best-of-Listen. So zum Beispiel Delons schlechteste Filme, 10 Traumfrauen im englischen Fernsehen, die immer das Einschalten wert sind etc. etc.

Glaubt man dem Cover, soll mit "Dark Zone" darüber hinaus eine regelmäßig erscheinende Publikation zum Thema aus der Taufe gehoben werden, die sich sowohl an ohnehin Hartgekochte als auch Genreneulinge wendet. Beten wir also zu Gott (oder besser noch: Mickey Spillane, Raymond Chandler, Jim Thompson ...), daß sich die Herrschaften damit nicht bis zum 75. Geburtstag Delons Zeit lassen. Solche Bücher braucht das Land! Und wer sie ignoriert, muß eben weiterhin bei Donna-Leon-Klonen und Ottfried-Fischer-Vehikeln verblöden.

Jürgen Fichtinger

Martin Compart (Hrsg.) - Dark Zone

ØØØØØ

Ein Noir-Reader


Strange Verlag (D 2004)

 

Links:

Kommentare_

doc - 07.11.2009 : 12.11
apropos "durststrecke": lieber martin, gibt es noch eine chance, das irgendwann ein weiterer reader erscheint? "dark zone" und "noir 2000" hab ich jetzt schon sehr oft durchgelesen (wie die entsprechenden evolver-artikel) und man fühlt sich ja heutzutage wirklich ganz alleine mit seiner süchtigen liebe zu hardboiled-, noir- und pulp-literatur.. liebe grüsse, dein doc

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 4/2014

Blaue Ruinen und heilige Berge

Es knallt, es kracht - und es wird esoterisch. Zücken Sie die Fernbedienungen und lehnen Sie sich für unsere Heimkinoempfehlungen gemütlich im Fernsehsessel zurück.  

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 3/2014

Bye, bye, A.I.?

Der große, böse Wolf kommt neuerdings aus Israel, Roy Battys Low-Budget-Nachfolgerin dafür aus Großbritannien. Dazwischen tummeln sich die Anarcho-Trickfilmfiguren Ren und Stimpy, US-Sexualforscher sowie jede Menge Genrekost.  

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 2/2014

Schau mir in die Augen, Kleines!

Lernen Sie, wie man am besten durch Drogen reich wird. Sehen Sie zu, wenn Orson Welles mit Charlton Heston Schlitten fährt. Oder reisen Sie mit den Mystic Knights of the Oingo Boingo per Anhalter durch die Heimkino-Galaxis.  

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 1/2014

Plasma an!

Arm gegen reich, Profitgier gegen Rückgrat - und natürlich jede Menge Blei: unsere aktuellen Heimkinoempfehlungen sind angerichtet.  

Video
DVD-Tips 12/2013

"Do I feel lucky?"

"Well, do ya, punk?" Eine amerikanische Doku widmet sich dem Verfasser dieser Zeilen. Wem das nicht gefällt, der darf mit Quentin Dupieux Hundefänger spielen oder den Fernsehabend mit Dr. Lecter verbringen. Wohl bekomm´s!  

Video
DVD-Tips 8/2013

Halali im Heimkino

Mel Gibson ist auf der Flucht, Sly Stallone auf der Jagd - während Michael Shannon und Chloë Sevigny den Finger stets am Abzug haben und Kevin Spacey im Weißen Haus nicht nur die Puppen tanzen läßt.