Dark Side of the Wonderland

Wenn American McGee sich ein Action-Adventure zum Klassiker "Alice im Wunderland" ausdenkt, kann das nur eines bedeuten: Rübe ab in 3D!

Stellen Sie sich vor, William S. Burroughs hätte eine Fortsetzung zum Carrollschen Erwachsenen- und Kindermärchen "Alice im Wunderland" geschrieben. Das Ergebnis würde wahrscheinlich so aussehen wie "American McGee´s Alice", das neue Game aus dem Hause Electronic Arts: durch und durch krank, aber ein absolutes Muß.

Die kleine Alice dämmert in einer Irrenanstalt vor sich hin, und kein Mensch weiß, was mit ihr los ist. Elektroschocks, Chemiehämmer und andere Späße der Doktoren scheinen nicht zu wirken; dem Mädel kann einfach nicht mehr geholfen werden. Zumindest denkt das die Wissenschaft, denn in "Wirklichkeit" befindet sich die Kleine auf einer gefährlichen inneren Reise ins Reich der bösen Herzkönigin. Leider hat sich seit ihrem letzten Besuch im Wunderland jedoch einiges geändert. Waren es früher nur der verrückte Hutmacher, die bekiffte Raupe und die freakige Grinsekatze, die Alice zu schaffen machten, so sind mittlerweile alle Bewohner unterhalb des Kaninchenhügels vollkommen durchgeknallt. Tod und Chaos breiten sich im Land der bösartigen Ameisen, mordlüsternen Soldaten und Psycho-Babies unaufhaltsam aus, und nur Alice kann den Verfall der einstigen LSD-Oase verhindern. Daß das alles andere als einfach wird, ist dem Spieler spätestens nach den ersten paar Levels klar, da er Mademoiselle Lunatique durch das düstere Geschehen steuert.

Es ist schon verdammt lange her, daß ein Spiel dermaßen liebevoll in Szene gesetzt wurde. Minutiös gestaltete Hintergründe, bei denen selbst die kleinste Kleinigkeit perfekt abgestimmt wurde, das Ganze basierend auf der bewährten "Quake 3"-Engine, und mittendrin die Heldin, die mutterseelenallein gegen die Schergen der bösen Monarchin antreten muß. Hilfreich dabei sind ein riesiges Messer, tödliche Spielkarten, Hasenbomben und andere seltsame (aber höchst wirksame) Waffen. Wehrlos ist Alice also garantiert nicht... Für die musikalische Untermalung des atmosphärischen Action-Games sorgt übrigens niemand geringerer als Sargnagel Chris Vrenna, eines der Gründungsmitglieder der legendären Industrial-Combo Nine Inch Nails (wer´s nicht weiß).

Doch so eindrucksvoll sich das vermeintliche Action-Adventure auch präsentiert, für anspruchsvolle Zocker gibt es einen kleinen Wermutstropfen zu verdauen: Der Adventure-Anteil von "Alice" geht eher gegen null, und auch die Action ist nicht wirklich dominant. Primär könnte man das herrlich düstere Game wohl als 3D-Jump & Run bezeichnen, denn was man hier alles erklettern, erschwingen und erhüpfen muß, ist stellenweise fast schon lästig. Was nützt das coolste Killerinsekt oder ein todbringender Eisstab, wenn man über fünf Sprungpilze, drei Lianen und durch zwei Wasserwelten muß, um sie erreichen zu können?

Adventure- und Action-Freunde sollten sich also nicht zuviel von "American McGee´s Alice" erwarten. Passionierten "Springinsfelds" mit einem Faible fürs Morbide wird die Reise ins Wunderland hingegen mit tödlicher Sicherheit den einen oder anderen Entzückensschrei entreißen. Und das ist keine Metapher - versprochen!

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