Lang lebe der Rock´n´Roll!

Die ganze Welt hält William Gibson, den Verfasser des berühmten "Neuromancer", für den Erfinder des Cyberpunk. Aber Gibson hatte einen Vorläufer: den (damals noch) drogensüchtigen Punk-Musiker und Berufsrevoluzzer John Shirley, der mit dem Roman "Stadt geht los" eine wahre Lawine lostrat.

Eines der populärsten Subgenres der Science Fiction ist sicherlich - auch noch 20 Jahre nach seiner Entstehung - der Cyberpunk. Virtuelle Realität, Mensch-Maschinen-Hybride, Hacker mit direkten neuralen Verbindungen zu riesigen Datennetzen und exzentrische Designer-Drogen sind nur einige der literarischen Bestandteile dieser literarischen Richtung, ohne das es Filme wie "The Matrix" wahrscheinlich nie gegeben hätte. Obwohl William Gibson mit seinem 1985 erschienenen Roman "Neuromancer" als offizieller Begründer der Bewegung gilt, kam der Ball bereits fünf Jahre vorher ins Rollen - zu einer Zeit, als noch niemand so genau wußte, ob Androiden wirklich von elektrischen Schafen träumen. Damals veröffentlichte John Shirley seinen Roman "Stadt geht los", der nun in einer vom Autor überarbeiteten Fassung erstmals auch in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.

Stu Cole ist Besitzer des Nachtclubs "Anesthesia" in San Francisco, in dem sich Nutten, Zuhälter, Modezombies und Angstrocker Nacht um Nacht wilde Schlägereien liefern, während Catz Wailen mit ihrer Band die Meute erst richtig zum Kochen bringt. Wer glaubt, im Rest der Stadt gehe es ruhiger zu, der irrt. Korrupte Bullen, Mafia und die Vigilanten (eine faschistische Organisation, die beschlossen hat, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen) sorgen dafür, daß es im guten alten Frisco nie langweilig wird.

Eines Tages taucht ein seltsamer Fremder im Club auf, zu dem sich Catz und Stu auf Anhieb hingezogen fühlen. Kein Wunder, ist er doch die personifizierte, fleischgewordene Stadt und vertritt das kollektive Unterbewußtsein ihrer Einwohner. Und die sind verdammt sauer. Gemeinsam mit "City" beginnen die Underground-Helden im Sumpf der Korruption, des Verbrechens und der bigotten Moralapostel ein wenig aufzuräumen. Dirty Harry und Charles Bronson hätten ihre helle Freude an diesem futuristischen Kreuzzug gehabt. Leider hat Mr. Cole die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn die Stadt ist alles andere als ein barmherziger Samariter und fordert nach und nach ihren Preis.

Wenngleich Shirleys Roman bereits zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat, ist "Stadt geht los" nicht ein Quentchen seiner Faszination abhanden gekommen. Vielmehr liest sich das Buch, als wäre es soeben geschrieben worden und als hätte es Gibson und seine vielen Nachahmer nie gegeben. Während Shirley einerseits den düsteren Propheten spielt, präsentiert er andererseits den heutigen Alltag, wo Drag Queens, S/M-Yuppies und Brustwarzen-Piercings genauso selbstverständlich geworden sind wie das WorldWideWeb, und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis man sämtliche im TV gesehenen Produkte direkt mit Fernbedienung übers Netz kaufen kann. Willkommen in der Zukunft!

"Stadt geht los" ist reinster Futuristen-Rock´n´Roll in Romanform. Kaum zu glauben, wie gern man bei dieser ungewöhnlichen Stadtrundfahrt mit von der Partie ist - sozusagen sanfter Tourismus der etwas anderen Art. Die Lektüre ist daher absolute Pflicht!

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Über den Autor:
John Shirley, geboren 1954 in Houston/Texas, Literaturpreisträger und ehemaliger Punkrocker, gilt als Entdecker von William Gibson und Vorreiter des Cyberpunk-Genres. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Stadt geht los" und die "Eclipse"-Trilogie.