15-07-2000/Abteilung: Literatur/Archiv

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Wenn es mit Korruption, Gewalt und organisierter Kriminalität so weitergeht wie bisher, wird die Welt in absehbarer Zeit im Sumpf des Verbrechens versinken. Dabei haben es die Kriminalisten heute doch mit weitaus harmloseren Formen des Unrechts zu tun als ihre Kollegen in den 70er Jahren. Wo sind denn die "Krallenmörder von New York" und die "Würger aus dem Totenreich" geblieben, und was, bitteschön, kann´s für einen Cop schon Schlimmeres geben, als das "Geistergirl aus der grauen Gruft"?  r.evolver geht diesen und anderen Fragen nach.

1974 war ein gutes Jahr für den Hamburger Martin Kelter Verlag und ein schlechtes für die Menschheit. Allerorten ereigneten sich Verbrechen der blutigen und mitunter ganz dubiosen Art; und natürlich vermochte sie kaum einer zu stoppen, weil ja bekanntlich metaphysisch gerüstete Straftäter dem durchschnittlichen irdischen Gesetzeshüter stets überlegen sind. Schlimm hätte das damals zur Hochblüte des Horrorromans enden können, wären da nicht die ganz speziellen Helden gewesen, die tapfer und erfolgreich Heft für Heft dem Unheimlichen trotzten. Gäbe es sie tatsächlich, diese professionell agierenden Geisterjäger - sie würden heute angesichts zeitgemäßer High-tech-Bullen und ihrer kriminalistischen Praxis wahrscheinlich in schallendes Gelächter ausbrechen. Hat sich was mit Rasterfahndung und Lauschangriff, mit Genanalyse und Täterprofil, wenn die Gegenseite aus dem "Geistermoor" über Ressourcen verfügt, die moderne Methoden recht schnell in die Schranken weisen - mit anderen Worten: Was ist der Kampf gegen Schlepperbanden und Ostmafia im Vergleich zu den mitunter letalen Konfrontationen mit der "Gefahr aus dem schwarzen Jenseits"? 

"Der unheimliche Ritter riß das Schwert schon wieder hoch. Er drosch erneut nach Parker. Der hatte große Mühe, sich mit einem wilden Satz in Sicherheit zu bringen. Ächzend und schnarrend folgte ihm die leere Rüstung. Immer wieder stieß, schlug und drosch der gespenstische Ritter nach Andrew Parker. Das eiserne Monster trieb ihn durch den Korridor und eine Treppe hinauf."
(Aus "Der Würger aus dem Totenreich", S. 18, Geister-Krimi-Paperback/Kelter Abenteuerband Nr. 16)

Wie eingangs erwähnt, war 1974 ein Horror-Jahr - nach Pabel und Bastei sprang endlich auch der Kelter-Verlag auf den Geister-Crime-Express auf, der im Hochgeschwindigkeitstempo den Heftmarkt eroberte. Die literarische Entwicklung des übergreifenden Genres nahm 1968 mit dem "Silber-Krimi" Nr. 747 (Zauberkreis-Verlag) seinen Anfang - Dan Shocker alias Jürgen Grasmück (wie der Autor nicht gerade spektakulär mit bürgerlichem Namen heißt) veröffentlichte die Urmutter des Horrorkrimis in Form einer wüsten Pulp-Story, deren Plot bereits in ein phantastisch anmutendes Szenario verpackt war. Der Hauptheld dieser ersten Horror-, Sex- & Crime-Serie ("Silber-Gespenster-Krimi") im Heftformat hieß Larry Brent alias Agent X-Ray-3. Und dieser smarte Herr arbeitete für die sogenannte PSA - quasi ein Geheimdienst, der sich mit sogenannten paranormalen Fällen beschäftigte.

Aber zurück zum Kelter-Verlag: Die diensthabenden Heroen dort waren auch nicht untätig, wenn auch ein bißchen spät dran. Kelter hatte sich als letzter deutscher Heftromanverlag dazu entschlossen, eine eigene Horror-Crime-Serie zu starten. Bis heute unvergessen ist der zu diesem Zwecke von Richard Wunderer vulgo Andrew Hathaway ins literarische Leben gerufene, phänomenale Detektiv Rick Masters, der in so manch irrwitzigem Umfeld - weniger mit roher Gewalt denn mit akribischer Detailarbeit und Köpfchen - dem Grauen das Grauen lehrt. Wer so einem grauslichen Geist den Garaus machen will, richtet halt mit einer allzu massiven Vorgehensweise wenig aus...

"Etwas ratlos saß Rick Masters in der bequemen Klubgarnitur und starrte gedankenverloren auf die wilde Verfolgungsjagd im Fernsehen. Wenn er den Apparat nur zur Berieselung einschaltete, kamen ihm oft die besten Ideen, weil er sich dann ganz konzentrieren konnte."
(aus "Der Krallenmörder von New York", S. 93, Geister-Krimi-Paperback/Kelter Abenteuerband Nr. 18)

Parallel zur Heftserie erschienen Kelters "Geister-Krimis" auch als Taschenbücher. Von diesen mittlerweile als Sammlerstücke begehrten Paperbacks kamen zwischen 1974 und 1976 allerdings nur 20 Nummern in der Reihe "Kelter-Abenteuer-Taschenbücher" auf den Markt. Die "Schauderschocker von ungewöhnlicher Spannungsdichte" waren vollgepackt mit wahrhaft unglaublichen, wenn auch auf originelle Weise dem Zeitgeist angepaßten Geschehnissen. Die phantasievolle Palette düsterer Geschichten reichte vom urlaubsreifen Boxer, der dem "Würger aus dem Totenreich" (erschienen als Kelter Abenteuerband Nr. 16) trotz physischer Erschöpfung ein patziges K. o. in der letzten Runde beschert, bis hin zum jungen Parapsychologen, der sich einer eklatant umtriebigen Hexe um einiges ambitionierter in den Weg stellt als beispielsweise die hysterisch und genaugenommen saublöd agierenden Protagonisten in "Blair Witch Project" (nachzulesen in: "Spuk im Leichenturm", erschienen als Kelter Abenteuerband Nr. 25).

"Er war trotzdem stolz auf die beiden, denn sie hatten ein schwieriges Kunststück fertiggebracht: Anthony Craig und Amory Power hatten ihr Dorf von einem bösen Alptraum befreit. Endlich durfte dieses gottverlassene Dorf aufatmen."
(Aus "Spuk im Leichenturm", S. 144, Geister-Krimi-Paperback/Kelter Abenteuerband Nr. 25)

Bedauerlicherweise flaute der Horrortrend gegen Ende der 70er Jahre rasch wieder ab. Das Rätselhafte und Geheimnisvolle wollte so ganz und gar nicht ins kühle Zeitalter der New Wave und aufkommenden "New Economy" nebst all den innovativen Entwicklungen auf dem Computersektor passen. Da blühte schon eher die Science Fiction auf, die zu Beginn der straighten 80er Jahre durch William Gibsons Kultroman "Neuromancer" neue Impulse erfuhr.

Mit der Nr. 405 - "Geister nehmen keinen Urlaub" - ging 1981, bedingt durch die harte Konkurrenz um den stetig schrumpfenden Heftmarkt, der Geister-Krimi-Serie die Luft aus. Der bekannteste Held, Private Eye Rick Masters, durfte allerdings noch ein Weilchen weitermachen - und zwar in den Nachfolgeserien "Geister-Killer" und "Geister-Thriller", in denen er sich die Aufträge der unheimlichen Art alternierend mit seinem Kollegen Mark Tate teilte. Anfang der 90er war dann endgültig Schluß mit der Kelterschen Geisterhatz - ein anderer Verlag und ein anderer Held hatten im Kampf gegen das Unheimliche den Sieg davongetragen: Bastei-Publikumsliebling John Sinclair ist der letzte einer mittlerweile ausgestorbenen Zunft - jener der Geisterjäger.


Geister-Krimi
(Gruselromanserie der 70er und frühen 80er Jahre)

Verlag:
Martin Kelter Verlag/Hamburg

Bezugsquelle(n):
diverse Antiquariate

Links:
Kelter-Verlag