14-02-2001/Abteilung: Müll-Mix
Schade eigentlich, daß eingefleischte Fetischisten (oder solche, die sich dafür halten) längst die gutbürgerliche Lebenswelt erobert haben. Faktum ist: Kaum einer wähnt sich heutzutage angesichts schenkelhoher Stiletto-Lederstiefel im Vorhof der Hölle - und die kuchenmampfende Lacklady in der Konditorei mag auch niemand mehr zu schockieren. Dabei war das nicht immer so. r.evolver begibt sich auf die Suche nach der Ursünde in Lack und Leder... AJa, früher war alles anders. Ende der 50er Jahre zum Beispiel, als ein junger, energiegeladener Londoner Designer auf die naheliegende, wenn auch damals recht gewagte Idee kam, aus seiner Obsession einen Markennamen zu machen - und seine diesbezüglichen Bestrebungen so nebenbei Maßstäbe in Sachen Mode setzten. Die Rede ist hier von einem innovativen, mutigen Künstler, dessen Name seltsamerweise den wenigsten zeitgeistigen Leder- und Latexfreunden mitteleuropäischer Provenienz etwas zu sagen vermag: John Sutcliffe. Der König des Fetisch-Designs arbeitete aber nicht nur für Liebhaber bizarrer Outfits (die damals ihre "hautengen" Vorlieben nur hinter verschlossenen Türen ausleben durften) sondern auch für die Medienwelt. Eben dort wurde - analog zum neuen Frauenbild - nach kleidsamen Ausdrucksformen gesucht, die den angenehmen Nebeneffekt haben sollten, ein wenig übers Ziel hinauszuschießen, ohne deshalb gleich den Gesetzgeber auf den Plan zu rufen. Denn nichts war so verpönt wie nackte Haut (man erinnere sich nur an den Skandal, den Hildegard Knefs aus heutiger Sicht kindergartengerechter Auftritt in "Die Sünderin" verursachte). Enges Leder statt nackter Haut Aber schutzlose Nacktheit paßte ohnehin nicht zum propagierten Image. Die neue Frau war gebildet, erfolgreich und bot ihren männlichen Gegenspielern durchaus die Stirn. Im Sex & Crime-Genre durfte der neue Frauentyp den Männern sogar ein bißchen Angst machen (siehe auch Pussy Galore in "Goldfinger") und eine bis dato eher brachliegende Seite nach außen kehren: die angriffslustige. Kein Wunder also, daß Theater- und Filmregisseure nach einem Dresscode suchten, der diesem Bild entsprach. Just zu diesem Zeitpunkt wurde John Sutcliffe zum gefragten Mann. In seiner AtomAge-Werkstatt auf 10a Dryden Street entwarf er Mode für Frauen, die ihren Gatten im ehelichen Foltergemach ordentlich Feuer unterm Hintern machten. Was lag näher, als beim Spezialisten in Sachen bizarrer Damenausstattung ein paar Entwürfe in Auftrag zu geben? Der Vorteil dabei: Sutcliffes Modelle waren zwar in hohem Maß erotisch, boten jedoch den Moralaposteln von der Zensurbehörde keinerlei Angriffsfläche. Kein Millimeter nackten Fleisches erregte die Mißgunst konservativer Kräfte, denen mit einem Mal jegliche argumentative Grundlage unter den Füßen weggezogen wurde. Den Herrschaften blieb nichts anderes übrig, als die Köpfe zu schütteln und nach Verdachtsmomenten zu suchen, die sich aber - dem Meister sei Dank - nicht finden ließen... Neue Frauen braucht das Land Sutcliffs gewagte, jedoch im Grunde moralisch einwandfreie Ledermodelle schlugen also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits ließen sie sich wunderbar mit dem neuen Frauenbild in Einklang bringen, andererseits brachten sie die Phantasie der Herren auf Vordermann - und somit auch Kino- und Theaterkassen sowie die Quoten des damals soeben den Kinderschuhen entwachsenen Mediums Fernsehen. Das beste Beispiel ist wohl jener Dress, den Sutcliffe für eine Heldin entwarf, deren Beliebtheit bis heute ungebrochen ist: Diana Rigg durfte seinerzeit als Femme totale Emma Peel in einem Sutcliffe-Leder-Catsuit für Aufsehen und ein angenehm kribbelndes Gefühl in den Unterleibsregionen der männlichen Fans sorgen. Mit anderen Worten: Die Geschäfte auf 10a Dryden Street gingen gut. Nachdem Sutcliffe bereits in den 50er Jahren neben seiner Werkstatt auch die AtomAge-Boutique eröffnet hatte, begann er in den frühen Siebzigern seine eigene Zeitschrift herauszugeben. Im Editorial der ersten "AtomAge"-Ausgabe von 1972 wandte sich Herr Sutcliffe persönlich an seine Fans: Every craftsman takes pride in his work - and we are no exception. We get a great deal of pleasure from seeing our designs in leather and vinyl on the stage, on the screen, and on TV, an receiving letters and praise from our customers all over the world for whom we have brought to reality their personal designs (...) So here is the first issue of our very specialised magazine which shows something of our work in the theatre, in the world of modern art, our fashion designs, as well as the designs made for some of our customers (...) Also, this is a limited circulation, private magazine - you might almost say, a private peep behind the scenes at AtomAge... ("AtomAge"-Magazin Nr. 1, Seite 3, Dezember 1972) Von den Auflagen heutiger Fetischmagazine konnte Sutcliffe allerdings nur träumen. In relativ kleiner Anzahl produziert, bot die Zeitschrift den einschlägigen Londoner Zirkeln eine optimale Kommunikationsplattform. Mit Hilfe von "AtomAge" konnten Fetischisten nun endlich in Dialog mit Gleichgesinnten treten und so einen kleinen, aber umso wichtigeren Schritt aus der Anonymität heraus wagen. Ab nun konnte man sich nicht nur von Meister Sutcliffe von Kopf bis Fuß einkleiden lassen, sondern gleichzeitig einen regelmäßigen Blick hinter die Kulissen der bevorzugten Schneiderei werfen. Übrigens: Produzierte die Modewerkstatt des Herrn Sutcliffe auch in den 70ern in erster Linie für große Theater- und Filmproduktionen, widmeten sich die hausgemachten Blätter ab Mitte der Dekade vermehrt dem sexuellen Aspekt der Angelegenheit. Die Palette der Publikationen hatte sich mittlerweile um zwei Farbmagazine erweitert: Mit "AtomAge Bondage" und dem "AtomAge Rubberist" verschaffte Herausgeber Sutcliffe dem bizarren Londoner Underground einen umfassenden medialen Background. Von nun an waren alle Bereiche abgedeckt: Leder, Lack und Latex, gewürzt mit einer deftigen Prise Bondage... Tag der Abrechnung Und genau diese fetischistische Detailfreudigkeit, nebst der expliziten Darstellung genaugenommen harmloser sexueller Praktiken, brachen Meister Sutcliffe - bildlich gesprochen - das Genick. Endlich hatten argwöhnische Kritiker eine Schwachstelle gefunden. Waren Sutcliffes Modelle nie wirklich Stein des Anstoßes gewesen, so hatte man nun einen triftigen Grund, des Designers "üblem Treiben" ein Ende zu setzen. Die prüde britische Gesellschaft und vor allem ihr konservativer politischer Arm gingen in die Offensive: 1985 stürmte die Polizei die AtomAge-Boutique und konfiszierte kurzerhand sämtliche Druckplatten der Magazine. Innerhalb einer Stunde wurde eine einzigartige Dokumentation zerstört - und somit das in visueller Form konservierte Lebenswerk eines großen Künstlers. Ein deprimierter, öffentlich gedemütigter John Sutcliffe bemühte sich in weiterer Folge zu retten, was zu retten war, scheiterte jedoch an Bürokratie und Behördenwillkür. Und auch sein Versuch, die Produktion der Magazine erneut in Schwung zu bringen, scheiterte. Das Schicksal hatte anderes mit ihm vor: 1987 starb einer der besten Designer der Welt an einem Herzinfarkt... Detail am Rande: Den "Rubberist"
gibt´s heute noch: Seit Jahren wird er (eher wenig inspiriert)
vom "Shiny"-Magazin fortgesetzt. Und auch über den Namen AtomAge
stolpert man noch gelegentlich - und zwar im Zusammenhang mit einem
derzeit unglaublich trendy Fetis(c)h-Club in Deutschland.
(Vielen Dank an Tim Davis!) |
Für Action: Maus über Bilder bewegen!
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