Fortsetzung...
Dabei gab es einmal Zeiten, als Popmusik noch etwas zu sagen hatte. War vielleicht früher wirklich alles besser?
Nein - denn es gab auch schon in den Anfangstagen populärer Musik platte Texte; man denke nur an das "Bab-schuwab-bab-schuwariwari"-Geschwurbel aus vielen Rock´n´Roll-Titeln. Aber das Verhältnis zwischen guten, polarisierenden, thematisierenden oder zumindest sinnvollen Lyrics und den Textverbrechen war damals wenigstens ausgeglichener als in den aktuellen Charts. An dieser Stelle sei nur auf die Texte der Beatles, die Stones und ihren Song "Mother´s Little Helper" (das poppigste sozialkritische Lied vor Chumbawamba), Pink Floyd und "Another Brick in the Wall" und ähnliches verwiesen. Einst gab es große Geschichtenerzähler wie Clapton, Dylan oder Springsteen, die wochenlang die Spitzenplätze in den Hitlisten hielten. Aber die Musik dieser Künstler ist obsolet und hat daher heutzutage kein Anrecht auf Airplay oder Bravo-vier-Seiten-Strecken.
Doch es geht hier nicht um Einzelkünstler, sondern um Jugendbewegung. Im Singular, richtig. Trends und Szenen brachten schon immer Bewegung in die Charts und damit in die Rezeption der Liedinhalte. Punk als Gesellschaftskritik, Wave als Melancholikum oder Metal als Aggressor - das liest sich klischeehaft, aber ein Schubladencharakter ist besser als gar keiner. Der Unterschied zwischen der Vergangenheit und heute besteht darin, daß die Charts der Gegenwart eher ein Konglomerat aus den Spitzen szeniger Eisberge sind als die Gemeinschaft der besten Bands aller Musikstile.
Bis in die frühen 90er Jahre war das anders - siehe Metallica, Bad Religion oder Prodigy. Natürlich finden sich im Tagesgeschäft Popmusik genügend Argumente gegen diese These - und das ist auch gut so -, doch wenn man sich die A- und B-Playlists von Radio- und Fernsehkanälen anschaut, stößt man nur noch auf sehr wenige Songs mit guten Texten. Dabei können auch anspruchsvolle Lyrics an die Charts-Spitze führen: "Zombie" von den Cranberries etwa wurde im Englischunterricht des Jahres 1994 seziert, weil die Lyrics durch ihre Authentizität einen emotionalen Eindruck vom Irland-Krieg liefern. Und Dolores O´Riordan erreichte durch die Thematik ein Pathos und eine stimmliche Intensität, die für einen No.-1-Song einmalig waren (und bisher auch blieben). Die bereits erwähnten Chumbawamba wiederum machen nur mit dem Ziel Popmusik, sozialkritische Ansätze in die Köpfe desinteressierter Jugendlicher zu bringen; das gelang ihnen auch schon mehrmals ("Homophobia", "Enough Is Enough", "Tubthumping"). Eines der größten Vorbilder der Band ist dabei Jimmy Sommerville (Bronski Beat), dessen "Smalltown Boy" ein hervorragendes Beispiel für einen gelungenen Text darstellt.
Auch aus der vielgescholtenen Elektronik-Szene ragen Pop-Bands mit guten Texten heraus: Underworld oder Massive Attack beispielsweise, die Sprache merklich in den instrumentalen Kontext einfügen, ohne in Party- oder Marktschreier-Platitüden zu verfallen. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die Fantastischen Vier - als beste Texter unter vielen Unfähigen in der Gruppe deutscher HipHop-Acts.
Auf den Alben sind die Perlen
Wenn man ein derart vernichtendes Urteil über die gängigen Textkonzepte in unseren Charts fällt, muß man erst einmal nachweisen, daß es überhaupt noch gute Texte gibt. Spätestens an dieser Stelle stellt sich aber die philosophisch anmutende Frage, was einen guten Text eigentlich ausmacht. Schließlich ist es weitaus schwerer, objektiv zu beurteilen, was "gut" ist, als festzustellen, was geschmacksneutral zumindest "nicht schlecht" ist.
Sucht man heutzutage auf Tonträgern oder in deren Booklets nach Meinungen, Geschichten, geschickten Versen oder einfach nur einer neuen Wortschöpfung, so wird man diese auf Longplayern weitaus eher antreffen als auf Singles. Und mehr noch: Gute Texte finden sich überwiegend auf Alben, die nicht die Top 10 und wahrscheinlich nicht einmal die Top 30 entern. Radiogeräte abschalten und in den Wühlkisten der Plattenläden suchen, heißt also die Devise.
Wenn nämlich schon Teppichschneider über die Bloodhound Gang reden, sind die Zeiten nicht mehr fern, in denen Puff-Daddy-Fans die intellektuelle Speerspitze des Pop-Publikums bilden und Westbam-Jünger die Revoluzzer der Nation sind. Oh lalala, hard times, mfg.
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