Fortsetzung...
Natürlich kann man Musik nicht in solche Gesetzmäßigkeiten pressen - denn egal, mit welchem Müll man es zu tun hat, es ist immer "Kunst". Daß jene "Kunst", die in die Top 10 gelangt, zu mehr als zwei Dritteln dümmlich und unkreativ ist, liegt aber an den Käufern und nicht an den Künstlern. Die Volksverdummung namens Popmusik würde nicht funktionieren, wenn es nicht dankbare Teenies und Twens gäbe, denen Songtexte nicht mehr bedeuten als ein einfaches Werkzeug zur Imitation des Liedes.
Denkbar wären - wenn man schon über Gesetze spricht - beispielsweise Regularien gegen schlimme Texte. Wieso müssen Bands mit drastischen, aber wenigstens immer mit einer Aussage versehenen Texten sich den "Explicit lyrics"-Sticker ankleben, während Volksverdummer der Marke Aqua ("Kiss me here, touch me there, hanky panky") ungeschoren davonkommen? Lieder wie dieses sind gefährlich, weil sie von willenlosen 14jährigen Mandies und Sandies wörtlich genommen werden könnten. Und das permanente Herzschmerzgeschwurbel diverser Boygroups deprimiert die Jugend ganzer Landstriche; schließlich erleben die betroffenen Heranwachsenden fast ausschließlich Niederlagen im Liebesleben.
Richtig verstehen wäre schön
Schlimme Songtexte kann man dem Pop-Volk eher unterjubeln, wenn sie in englischer Sprache verfasst wurden. Ein "Shananana" oder ein "Oh Hee Joo", ein "Bababa" oder ein "Eijeiijeijey" fallen seltener auf, wenn man ohnehin nur Textfragmente aufschnappt, um den Ohrwurm am Arbeitsplatz oder unter der Dusche nachsingen zu können. So entstehen bei der Rezeption häufig abstruse Interpretationen der Lyrics.
Der Autor dieser Zeilen schwärmte beispielsweise in seiner Jugendzeit von "diesem Klasselied 'Love is a better feeling' von Pat Benatar", bis er das Album zu Weihnachten geschenkt bekam und über das Fehlen seines Lieblingssongs enttäuscht war. Bei der Nummer handelt es sich natürlich um "Love Is A Battlefield". Ähnlich erging es einem Bekannten, der sich in einer Radio-Wunschsendung seine damaligen Favoriten Fleetwood Mac mit "I Wanna Be With You A Freeway" wünschte und dafür vom Moderator mehr als zwei Minuten lang ausgelacht wurde. Schließlich wollte die Band nur "everywhere" sein und nicht gleich eine ganze Autobahn.
Immerhin hatte man damals als Schüler durch intensiven Musikgenuß - mit allen Fehlinterpretationen - noch die Chance, seine Englischnoten deutlich verbessern können. Das Mainstream-Publikum von heute denkt hingegen gar nicht mehr daran, Texte zu verstehen, geschweige denn, sie mit Hilfe eines Wörterbuchs zu übersetzen. (Davon ausgenommen seien Boygroup-Fans, auf die weiter unten eingegangen wird.) Dafür gibt es drei Gründe:
>1. Die meisten Songtexte unserer Charts bestehen nur aus einer Aneinanderreihung von Phrasen.
2. Diese Phrasen kennt man auswendig, ihre Bedeutung ist zweitrangig.
3.s Wovon die Phrasen handeln, sieht man im zuständigen Videoclip.
Antithetisch verhält sich, was das Verstehen, Lernen und Wiederholen von Liedtexten aus den Single-Charts angeht, die nicht kleiner werden wollende Gruppe weiblicher Boygroup-Anhänger. So finden sich ganze Web-Ringe, die sich nur mit den Texten der Backstreet-Boys, N-Sync oder Touché beschäftigen. Wenn private Radiostationen Konzerte dieser Bands präsentieren, testen sie die Textfestigkeit der vor der Halle wartenden Fanatikerinnen. "Juh ah, mei fei er, mei wonn, die seijer!" tönt es dann aus stimmbrüchigen Pubertätsmündern, oder es wird sogar improvisiert: "Effrie Bahdie! Uh, komm on, jeah, Effrie Bahdie, uh Becks Trietz beck ehgähn!", gefolgt von Gekreische und der Belohnung durch den beseelten Radiomoderator in Form eines T-Shirts. Bei den Konzerten selbst werden dann die Texte durch die Bank mitgesungen/-geschrien - ein Umstand, der, hätte er nicht so einen faden Beigeschmack, für besagte Acts spräche. Verantwortlich dafür ist jedoch nur die Konkurrenz unter den Groupies und Fans, die alles von und über ihre Götter erfahren wollen und daher englische Simpelgedichte auswendig lernen.