Wenn verzerrte Schwingungen lupenreine Bits interpretieren, dann ist die Ära der Pseudo-Rockbands angebrochen, die billigen Dancefloor-Schund mit ihren Gitarren in hitparadentauglicher Weise interpretieren. Benny Denes hat einen neuen Trend entdeckt.
Wie dürstet die Musik doch nach innovativen Tendenzen! Seit nunmehr einem Jahrzehnt warten wir auf die Popularisierung einer neuen Art. Alles sei schon einmal dagewesen, sagen die Pop-Päpste vom Range eines John Peel oder Götz Alsmann, wir dürften nur noch Coverversionen und Klangdiebstahl erwarten. Gegen diese Entwicklung kann man sich sträuben oder sich talentierten, eigenständig agierenden Nachwuchskapellen zuwenden, die ihrerseits aber meist auch auf die eine oder andere Weise "retro" sind. Man darf jedoch auch ohne Umwege gleich zu den Bands schreiten, die das Dilemma der blutleeren Songwriter dadurch bewirkt haben, daß sie selbst alle großartigen Harmonien, Melodien und Beats bereits zelebriert haben - aber irgendwann sind einem selbst die Beatles, Claptons und Dylans über. Was bleibt, ist die große Aufgabe, neue Weizensorten von der popmusikalischen Spreu zu trennen. Selbstverständlich tragen auch diese neuen Sorten genetische Informationen des bisher Dagewesenen in sich, aber möglicherweise versteht man die Evolution der (Pop-)Kultur unserer Gesellschaft ein bißchen mehr, wenn man sie sich genauer anschaut.
Es soll nicht lange herumgeredet werden: Es gibt einen neuen Trend - wenn auch keine neue Szene, keine Jugendbewegung, so ist es doch eine feststellbare Tendenz. Die harte Gitarre erlebt ihren fünften Frühling, verzerrte, mehr oder weniger analoge Klänge mit echten, menschlich erzeugten Schlagzeugrhythmen sind wieder ein Produkt für die Masse. Das kann man zum einen an den kommerziellen Erfolgen von Allstyle-Sellouts der Marke Limp Bizkit oder Papa Roach fest machen, zum anderen aber gibt es eine noch viel prägnantere Markierung dieser neuen, alten Mode. In diesem Jahr bekamen wir auffallend viele Annäherungen von hart rockenden Acts an Klassiker des Dancefloor zu hören. Das hat es natürlich schon früher gegeben - an dieser Stelle sei an das Coveralbum von Atrocity voller NDW-Hits erinnert, oder an die Wiener Spalter Stahlhammer, die mit zwei Mitstreitern Falcos auch gleich zwei Songs von ihm übernahmen. Rammstein coverten "Das Modell", als sei es folgerichtig, weil die Slowenen Laibach - eines ihrer Vorbilder - seit jeher brachiale Interpretationen von harmlosen Charts-Stürmern schufen. Auch in Amerika lassen sich Beispiele für Metalbands finden, die Popsongs mit elektronischem Anteil neu einspielten. Orgy beispielsweise verkauften ihre Version von New Orders "Blue Monday" alleine in den Staaten an die zwei Millionen Mal. Was neu ist an dem Trend, ist die schamlose Annäherung an teilweise sehr banalen Stoff.
Während der Erfolg der Guano Apes mit "Big in Japan" am Anfang des Jahres 2000 noch auf die Popularität von Alphaville und den Göttingern selbst zurückgeführt werden konnte, war der Durchbruch einer Stuttgarter Combo namens Gallery mit ihrer Version von "Blue (dabadee)" wirklich erstaunlich. Sie hatten ohne große Abweichungen vom Vorbild, dem Sommerhit des Jahres 1999, einen groovenden, eingängigen Rocksong geschaffen, bei dem unerklärlicherweise die dummen bis unmöglichen Lyrics nicht mehr so auffielen wie beim Original. Gallery hatten das Lied in zwei Tagen in einem kleinen Studio eingespielt und zunächst über die Internet-Plattenfirma "Virtual Volume" als MP3 veröffentlicht. Das Netzpublikum war begeistert, und innerhalb einiger Wochen hatten Gallery einen Majordeal, ein teures Video und einen Top-ten-Platz in den deutschen Single-Charts. Der scheppernde Schlagzeugsound und die "heavy" klingenden Gitarren konnten nicht verhindern, daß ihr "Blue" selbst auf den kommerziellsten Privatsendern lief.
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