"Mehr Rock´n´Roll als Pentium-Prozessor"

Myra Çakan im EVOLVER Interview


EVOLVER: Wie kamen Sie eigentlich zur Science Fiction?
Myra Çakan:
Ich erinnere mich, daß ich in dem Alter mit Science Fiction anfing, in dem andere üblicherweise damit aufhören: mit siebzehn, achtzehn Jahren. "Star Trek" kannte ich bereits aus dem TV, aber das hatte für mich nie etwas mit SF zu tun - diesen Begriff bezog ich ausdrücklich auf Romane und Kurzgeschichten. Ende der achtziger Jahre begann ich selbst zu schreiben und meine Texte Verlagen anzubieten. Zu dieser Zeit entstanden auch die beiden "Luke Harrison"-Romane und die Kurzgeschichte "Downtown Blues", die den Kern meines neuen Romans bildet. Mit "When The Music´s Over" fing ich dann zu Beginn der Neunziger an. Meine Arbeit als freie Journalistin führte allerdings dazu, daß ich die literarische Arbeit ziemlich vernachlässigen mußte. Seit etwa drei Jahren ist diese Situation genau umgekehrt - jetzt arbeite ich eher sporadisch als Journalistin. Ganz aufgeben möchte ich diese Arbeit allerdings nicht, dazu macht sie mir zuviel Spaß. Außerdem schreibe ich noch Drehbücher und Hörspiele.

EVOLVER: Vor Ihrem Romandebüt waren Ihre Kurzgeschichten eher nur Eingeweihten ein Begriff. Durch den Überraschungserfolg von "When The Music´s Over" erreichten Sie erstmals auch eine breitere Öffentlichkeit. Was hat sich dadurch auf beruflicher Ebene für Sie geändert?
Çakan:
Ehrlich gesagt, nicht allzuviel. Die Filmrechte hatte ich schon vor Erscheinen des Romans verkauft. Allerdings habe ich letztes Jahr eine kleine SF-Short-story für den "Spiegel" geschrieben. Das war eine Auftragsarbeit zum Thema Nanotechnologie, die ich ohne den Erfolg meines Romans vielleicht nicht bekommen hätte.

EVOLVER: "When The Music´s Over" trägt den Untertitel "Ein Cyberpunk-Roman". Wie würden Sie diesen Begriff überhaupt definieren?
Çakan:
O, die Frage schon wieder! Also für mich ist das eher eine Frage des Stils, des Sprachrhythmus´ und des Settings. Nicht so sehr dieses "Cyberpunk ist gleich Cyberspace ist gleich Stöpsel im Nacken ist gleich William Gibson"-Ding - mehr Rock´n´Roll als Pentium-Prozessor.

EVOLVER: Wie steht es um die Verfilmung Ihres Debütromans? Und welche SF-Streifen der letzten Zeit haben Ihnen persönlich gut gefallen?
Çakan:
Herbert Gehr, der Produzent, hat die undankbare Aufgabe, Geld für die Kinofassung von "When The Music´s Over" aufzutreiben. Ein Drehbuch existiert in einer ersten, von mir geschriebenen Fassung. Ansonsten hatte ich in den vergangenen Monaten kaum Zeit, ins Kino zu gehen. Ich vermisse Filme mit einer guten Geschichte - anscheinend glauben die in Hollywood, sie würden die Zuschauer damit überfordern; anders kann ich mir diese Inflation von Popcorn-Movies nicht erklären. "Galaxy Quest" hat mir allerdings richtig Spaß gemacht, obwohl der Film auch in die erwähnte Kategorie fällt. Ausnahmen - im positiven Sinn - waren "Gattaca" und "Matrix", ach ja, und "Frequency" mochte ich auch.

EVOLVER: Mit den "Luke Harrison"-Titeln machten Sie einen Ausflug ins Reich des Jugendbuchs. Wie war die Resonanz auf die beiden Romane?
Çakan:
Wie gesagt - ich habe "Luke" ja schon lange vor "Music" geschrieben. Und ich finde auch gar nicht, daß es sich um typische Jugendbücher handelt. Sie waren als klassische Space-operas gedacht, wie sie Jack Vance früher geschrieben hat (die Fußnoten sind ebenfalls eine Reverenz an den Altmeister), und dazu kamen ein paar "Hardboiled"-Elemente. Ich habe Luke immer als so eine Art Donald Lam im Weltraum gesehen. Beim Argument-Verlag war man halt dann der Ansicht, daß die Romane ganz gut in deren neue Jugendreihe "Nachtbrenner" passen würden. Mir war das ganz recht so, weil ich nicht wollte, daß man "Luke" mit "Music" vergleicht. Die Reaktionen waren sehr positiv; es gab sogar eine Rezension in der "Süddeutschen Zeitung". Ich werde auch oft gefragt, wann endlich der dritte Teil erscheint.

EVOLVER: Ihr neuer Roman "Downtown Blues" ist - wie auch "When The Music´s Over" - im Subgenre der "Dark Future" angesiedelt. Was fasziniert Sie so an kaputten Gesellschaftssystemen - glauben sie, daß wir irgendwann mit einer solchen Welt konfrontiert sein werden?
Çakan:
Hey, sind wir das nicht schon längst?! "Downtown Blues" ist vor allen Dingen eine Cop-Story. Für mich ist es ein Thriller, der in der Zukunft spielt, nicht so sehr ein typischer Genre-SF-Roman. Leider gibt es viel zu wenige Science-Fiction-Geschichten mit einem guten Krimi-Plot. Ich würde sowas gerne öfter lesen.



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