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Derzeit stellen wir uns Terroristen ja bärtig und mit Turban vor. In Bret Easton Ellis´ Roman "Glamorama" sieht das ganz anders aus: Hier sind die Terroristen gebräunte Models mit Spatzenhirnen, die sich auf Partys gepflegt langweilen und in ihrem Doppelleben knietief im Blut ihrer Opfer waten.
Alle Achtung - Ellis´ letztes Buch hat sogar einen sinnvollen Plot: Victor Ward sieht gut aus und arbeitet als Model und professionelles Mitglied des Nightlife von New York. Er organisiert den Szene-Club seines Chefs, plant aber längst seinen eigenen. Seine Freundin ist ein süchtiges Model, doch er betrügt sie gleich mehrfach. Sein Leben ist reich an Rummel, Mode und Prominenz, aber so leer wie die Liste prominenter Partygäste, bei deren Zusammenstellung wir ihm mehr als 200 Seiten durch die Augen schauen. Man spricht über Clubs und Partys und andere Prominente. Alle rauchen, trinken, kiffen und schnupfen, schlucken Downer. Jeder will weg, zur nächsten Party; da sind vielleicht coolere Leute. Wir hören Victor sagen, er wolle kein Model mehr sein, sondern mindestens "Model Slash Schauspieler". Die Rolle, die ihm Starruhm bescheren soll, gehört zu "Flatliners 2" - deutlicher kann uns ein Autor nicht sagen, welch kleine Brötchen sein glitzender Held eigentlich bäckt.
Das oberflächliche Leben des Partylöwen ändert sich kaum, als ein mysteriöser Mittler Victor beauftragt, in Europa ein Mädchen zu suchen, das er von früher kennt (wir übrigens auch: aus Ellis´ "Einfach unwiderstehlich"). Die Welt von Kreuzfahrtschiff, London und Paris sieht zunächst kaum anders aus die von Manhattan. Doch nun passiert allerlei Merkwürdiges, und Victor Ward wird allmählich zum Mitglied einer terroristischen Vereinigung von Models unter der Führung eines ehemaligen Supermodels. Im Schutz des Glamours sprengen die Reichen und Schicken diverse Hotels, Flugzeuge und andere Symbole des Jet-set ohne Rücksicht auf Verluste in die Luft. Ja, der Terror war nie schöner.
Um dem Buch allerdings diese krude Story zu entreißen, muß der Leser sich durch Hunderte von Seiten kämpfen, die ebenso flüssig wie luftig geschrieben sind. Ließe man die endlose Aufzählung von Prominenten, Outfits, Celebrities, Modedetails, Lokalberühmheiten und Labels weg, wäre der Roman nur noch halb so dick. Aber schon nach ein paar hundert Seiten überliest man die Namen einfach - und das ist wohl die Message: Alles ist belanglos in dieser temporeichen Welt von Prominenz pro Stunde, alles ist nur dazu da, um vergessen zu werden. Ellis klagt nicht an, was er denunzieren will, er zelebriert es, wird eins mit ihm. Vielleicht im festen Glauben, er könne die Oberfläche durchdringen, wenn er die literarische Kamera nur nah genug an sie heranfährt.
Victor Ward ist dabei ein sehr unzuverlässiger Erzähler, dumm wie ein Prada-Tanktop und bei aller Wortfülle seltsam schweigsam. Wir erfahren fast nie, was er denkt, und die Vermutung liegt nahe, daß er überhaupt nicht denkt. Er fühlt auch nichts - als Model und mobile Schaufensterpuppe ist Victor eine Marionette des Systems, dessen Vorgänge ihm und deswegen auch dem Leser im wesentlichen mysteriös bleiben. Da ist es fast eine Meisterleistung, daß wir dennoch mit dem Helden bangen, denn dieser hat eindeutig Probleme. Zum Beispiel verliert er mit jedem Kapitel mehr den Bezug zur Realität. Die Menschen in den Bars werden zu Statisten, er selbst zum Star - bloß von was? Eben noch scheint eine Szene wirklich, schon unterhält er sich mit dem Kameramann. Die Wirklichkeit des Buchs wird zur Kulisse rätselhafter Filme, in denen er die Hauptrolle spielt; allerdings bei sich ständig ändernden Drehbuchern, die er mit dem Regisseur diskutiert.
Victor findet zwar das Mädchen, das er sucht - doch im Todeskampf teilt sie ihm mit, daß sie eigentlich eine andere ist. Auch andere Figuren wiederholen sich, tragen ähnliche Kleider, sind austauschbar oder haben Doppelfunktionen. Der Antagonist ist Mehrfachagent, der bürgerliche Vater des Helden ist plötzlich Kopf der Verschwörung. Es geht um sehen und gesehen werden: Party-People fragen Victor oft, ob er nicht letzte Woche da oder dort war - er winkt ab. Am Anfang klingt das noch nach Understatement, aber es passiert zu oft. Victor findet sich schließlich auf Videos, wo er Dinge tut, an die er sich nicht erinnern kann. Sind die Filme Fälschung oder gibt es einen gefälschten Victor? Am Ende ist die Spaltung perfekt, denn Victor telefoniert mit sich selbst und ist dabei ein anderer.
Tja. Was soll man da sagen? Wer einen Thriller erwartet, erhält seitenlange Beschreibungen von Nichtigkeiten. Eine Satire auf die platte Welt das Glamour ist "Glamorama" auch nicht, dafür ist es zu dicht. Am Ende gibt es kein Bild der Leere, das der Leser nicht bis zur bitteren Neige auskosten mußte. Und obwohl böser Witz und bissiger Humor nicht fehlen, führt Bret Easton Ellis all die Leere, Dummheit und Oberflächlichkeit zu eindeutig vor. Er gibt sich zudem hemmungslos der Selbstironie der Neunziger hin, kritisiert im Prinzip sich selbst. Wohl deswegen hält sich der Autor mit expliziten Sex- und Splatter-Szenen zurück. Die Pornographie zum Beispiel schrumpft nahezu auf ein einzelnes Kapitel, ist dort aber so explizit, als wolle uns Ellis anmaulen: Da habt ihr endlich, was ihr vom "American Psycho"-Autor eigentlich wolltet. Die Gewaltszenen nehmen im Verlauf des Romans zwar zu, doch sind sie nur mehr mediale Inszenierung. Ein detailliertes Beispiel ist der Tod eines Terrorgruppenmitglieds: Während der tumbe Held das Opfer zu befreien versucht, werden ihm nach und nach auf perfide Weise die Gliedmaßen weggesprengt - wie als Kontrapunkt zum Körperkult der Models, die sich in Fitneßoasen bräunen und ihre geformten Bodys auf den Titeln der Hochglanzmagazine suchen.
"Glamorama" ist ein gelungenes Stück subversiver Literatur und müßte vor lauter allzu offensichtlichen Dekonstruktionsbemühungen eigentlich ziemlich langweilig sein. Daß man die 827 Seiten eventuell dennoch wegschlürft wie Martini, liegt an der aktiven Zeitform, der flotten Sprache, den schnellen Dialogen - einfach daran, daß Ellis schreiben kann. Und an einer alles durchdringenden Hysterie, die den geschilderten Never-ending-Partyrummel virtuos spiegelt. Leser werden das Buch daher entweder nach 100 Seiten hassen und in die Ecke schmeißen, oder es an einem einzigen, langen Tag durchlesen und sich fragen, ob das nun paranoider Sci-Fi-Trash war oder der mißlungene Versuch, einen unterhaltsamen "Ulysses" zu schreiben.
Allerdings bleibt der Verdacht, daß die postmodernen Spielchen mit Realitätsebenen, Intertext-Bezügen und Zerspielung von Wirklichkeit und Identität nur die Funktion haben, den Rezensenten was zum Rezensieren zu geben. Überall sieht Victor GAP-Läden, sagt der Autor. Aha. So what? Zunehmend bemerkt Victor, daß die Menschen beim Sprechen Kondenswölkchen vor dem Mund haben - Gottchen, die Armen; das Leben ist wohl sehr kalt in der High Society? Kein Wunder, daß Victor ständig weint und sich nach jedem Einwurf von Xanax-Pillen noch abwesender fühlt. Zudem riecht er immer öfter Scheiße, das soll uns wohl in Richtung Verfall und Tod nasführen? Und das Konfetti, das überall flattert? Nun, möglicherweise hat es der Autor dann doch etwas übertrieben damit, postmoderne Red Herrings auszulegen, die nirgendwohin führen. Zu hoffen bleibt da nur noch, daß "Glamorama" möglichst bald verfilmt wird - von David Lynch oder David Cronenberg.
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