Malcolm McDowell und Paul Bettany verkörpern in "Gangster No. 1" einen namenlosen Gewaltverbrecher, der trotz unmenschlicher Brutalität und Skrupellosigkeit sein Lebensziel doch nur scheinbar erreicht.
Freddie Mays (David Thewlis), der berüchtigte Kopf einer kleinen Gruppe von Gesetzesbrechern, holt den blutjungen Kleinganoven "Gangster 55" (Paul Bettany) als Verstärkung in sein illustres Team. Was keiner weiß: Der wortkarge Jüngling ist ein großer Bewunderer von Freddie, dem "Schlächter von Mayfair". Der extravagante Lebensstil Mays, seine unbestrittene Position als Anführer der Gang und der damit verbundene Respekt, der ihm entgegengebracht wird - all dies scheint eine faszinierende Wirkung auf den neuen Schützling des Meisters auszuüben.
Doch schon bald verwandelt sich die Wertschätzung für den Boß in Neid und Haß - sofern solche typisch menschlichen Attribute in diesem Zusammenhang überhaupt Anwendung finden können. Denn Gangster 55 ist ein Wahnsinniger, eine entfremdete Figur ohne erkennbare Charakterzüge, ein Todesengel ohne einen Funken Menschlichkeit. Als er von der bevorstehenden Liquidierung Freddies durch eine rivalisierende Gruppe erfährt, zögert er nicht lange und ergreift seine Chance...
"Gangster No. 1" erzählt die Geschichte des Hauptcharakters ausschließlich aus dessen eigener Sicht. Dies führt angesichts des fragwürdigen Geisteszustandes der Filmfigur zwangsläufig zu einigen drastischen Szenen exzessiver Gewaltanwendung, die der Zuschauer aus nächster Nähe miterlebt. Zu Beginn des Films sehen wir den alten Gangster 55 (Malcolm McDowell), der desinteressiert den bedeutungslosen Ausführungen seiner kriminellen Berufskollegen fortgeschrittenen Alters lauscht. Als der Name "Freddie Mays" fällt, löst dies eine Reaktion bei ihm aus; die Erinnerungen kehren zurück. Es folgt ein Flashback zu den Anfängen seiner Karriere in den späten 60ern: Wir begleiten den jungen Gangster (Paul Bettany) auf dessen Weg an die Spitze des organisierten Verbrechens.
Sein Bestreben, das Kommando in der Gruppe an sich zu reißen, hat wenig mit Ehrgeiz im konventionellen Sinne zu tun. Gangster 55 wird vom Haß getrieben. Seine extreme Feindseligkeit konzentriert sich in erster Linie auf seinen Mentor Freddie Mays: Als sich sein Idol auf eine Liaison mit der Sängerin Karen (Saffron Burrows) einläßt und mit ihr konkrete Zukunftspläne schmiedet, wird dies von Gangster als Verrat aufgefaßt. Er, der unfähig ist, einfache Gefühle wie Freude oder Leidenschaft zu empfinden, legt das Verhalten Freddies als Schwäche aus und wünscht sich nun nichts sehnlicher als dessen Sturz. Gangster will die Nummer eins werden - und das um jeden Preis. Er will aus Freddies Schatten hervortreten und der Welt zeigen, wozu er fähig ist.
"Gangster No. 1" ist ein drastischer Film, eine Art englischer Tarantino-Verschnitt ohne Humor. Mittendrin agiert Paul Bettany als irrsinniger Schlächter in beeindruckender Manier. Wenn der edel gekleidete Gangster damit anfängt, seine Opfer bei lebendigem Leibe zu zerstückeln, so weckt dies unweigerlich Erinnerungen an "American Psycho". Doch im Gegensatz zu Bret Easton Ellis´ Aufreger führt Gangster 55 kein Doppelleben, trägt das Monster keine Maske.
Irgendwann läßt das Interesse an der Hauptperson jedoch nach, und es beginnt sich ein Gefühl der Leere einzustellen. Der Film läuft Gefahr, in die Bedeutungslosigkeit abzudriften, wird jedoch durch die starke Schlußphase davor bewahrt. Malcolm McDowell ("Clockwork Orange", "Blue Thunder"), einer der unterschätztesten Darsteller unserer Zeit, liefert hier eine furiose Performance und verleiht seinem Charakter eine tragische Dimension.
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