Hamburg bei Nacht

"Hab´ ich nichts Besseres zu tun in der Nacht rumzugammeln, als mit gesundem Schlaf meine Kräfte neu zu sammeln?" rappen Texta im "Nachtmensch". Ähnlich geht es dem Erzähler in "Eine Art Idol", der nach der Rückkehr aus Tokio nicht nur mit dem Jetlag zurechtkommen muß.

"Hamburgs Nachtgesellschaft läßt sich in drei Gruppen einteilen. Da sind einerseits die Leute, die bis Mitternacht bleiben und dann nach Hause gehen, die Vernünftigen. Die zweite Gruppe sind die moderat Exzessiven, die bis etwa vier Uhr morgens bleiben und meist irgendwelche Künstlerjobs haben. Sie trinken mehr, nehmen ab und zu ein paar Drogen und besuchen meist die gleichen Bars. Und dann gibt es noch die dritte Gruppe, die Verlorenen. Während die moderat Exzessiven es schaffen, neben ihrer Nachtexistenz wenigstens ab und zu etwas hinzukriegen, gelingt den Angehörigen von Gruppe drei überhaupt nichts mehr."

Zu letzterer Gruppe gehört der Ich-Erzähler aus Marc Fischers Debütroman "Eine Art Idol". Mitte zwanzig, arbeitsloser Journalist, von seiner Freundin verlassen und gerade mit leeren Taschen aus Tokio zurückgekehrt, lebt der Möchtegern-Samurai nach seiner Rückkehr, anstatt sich wieder auf die europäische Zeit umzustellen, mit acht Stunden Zeitverschiebung, schläft tagsüber und schlägt sich die Nächte in diversen Bars um die Ohren.

Eine Zeitlang hält ihn ein Job als Kolumnist bei einer Hamburger Boulevardzeitung über Wasser, in der ihn Leser um Rat zu Themen wie Sex, Mode, Krankheiten, Scheidungen oder Kunst & Kultur befragen und er mit seinem Halbwissen auftrumpfen kann. Der Brief eines notgeilen Pensionisten, der auf der Suche nach einer Frau ist, ändert das allerdings schlagartig. Der Mann hat das Problem, daß ihm die Frauen, die sich für ihn interessieren, zu häßlich und zu alt sind, und jene, für die er sich interessieren würde, ihn links liegen lassen, weil er halt auch nicht mehr der Jüngste und Schönste ist. Der Ratschlag des Briefkastenonkels, doch eine Prostituierte aufzusuchen oder ein Schulmädchen zu verführen, löst eine Lawine von Beschwerden und Haßtiraden aufgebrachter Leser aus und hat die sofortige Einstellung der Kolumne zur Folge.

Nun scheint alles verloren, und eigentlich kann nur noch ein Wunder den Erzähler retten. Ebendieses tritt in Form mysteriöser, anonymer Geldsendungen auf, die es ihm ermöglichen, seinen anstrengenden Lebensstil aufrechtzuerhalten. Als er dann noch die Studentin Johanna kennenlernt und sich in sie verliebt, ist das Leben wieder in Ordnung - bis sie ihn auf einer Party mit Max Höller, dem Führer einer Untergrundorganisation, bekanntmacht, der seine Geschäfte durch Drogendeals und Raubüberfälle auf Banken finanziert. Und plötzlich sehen die Zufälle der letzten Zeit gar nicht mehr wie Zufälle aus...

Mit viel Ironie erzählt Fischer von dem gescheiterten Helden seines Romans, der versucht, nach dem "Hagakure" - der Bibel der Samurai - zu leben, durchs Hamburger Nachtleben schlendert und schlußendlich nach einigen Mißerfolgen und Enttäuschungen auf eine sektenähnliche Organisation trifft. Obwohl die skurrilen Ideen und der trockene Humor des Protagonisten wirklich amüsant sind, kommt zwischendurch des öfteren Langeweile auf, da über viele Seiten hinweg einfach nichts passiert. Schade eigentlich, daß so viele kreative Ansätze in der sich sehr abstrus entwickelnden Geschichte untergehen.

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love
(love, 01.12.2004 15:38)



Über den Autor:
Marc Fischer, geboren 1970 in Hamburg, arbeitet als Reporter für verschiedene Magazine, darunter "jetzt", "Der Spiegel", "Die Zeit" und "Die Woche". Seit seiner Zeit bei der Illustrierten "Tempo" hat er nie wieder einen festen Job gehabt, dafür hat sich sein Gitarrenspiel verbessert - leider ist es noch nicht so gut wie das von João Gilberto. Marc Fischer schläft viel und regelmäßig, und "Eine Art Idol" ist sein erster Roman.