Kaum zu glauben, daß "Das Geheimnis von Grange House" im Jahr 2001 erschienen ist und nicht schon vor 100 Jahren - so dicht ist Sarah Blakes Schilderung der feinen amerikanischen Gesellschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelungen.
Ein Geheimnis umgibt das an der Küste von Maine gelegene Grange House, Sommerfrische wohlhabender Städter. Hier verbringt Maisie Thomas zusammen mit ihren Eltern seit Jahren ihre Sommer. In diesem Jahr scheint zunächst alles so zu sein wie immer. Sie plaudert mit den Mädchen ihres Alters und flirtet (im Rahmen des Erlaubten) mit den jungen Männern; dazu werden Picknicks und Bootsausflüge veranstaltet. Ein angenehmes Leben, wie es scheint.
In jenem Sommer 1896 aber wird die Idylle von einem tragischen Bootsunfall überschattet, bei dem ein Liebespaar ertrinkt: die Tochter der Köchin und ihr Freund. Es scheint wie ein Vorzeichen für weitere turbulente Ereignisse.
Zudem wird Maisie von einer diffusen Sehnsucht geplagt, nach etwas, das sie (noch) nicht zu benennen vermag. Von ihrem wißbegierigem Vater zu Bildung angehalten, kann sie kaum glauben, daß ein angepaßtes Leben mit früher Heirat und einem Haufen Kinder alles ist, das das Leben ihr bieten soll. Doch fällt es ihr noch schwer, ihre Träume und Wünsche an die Oberfläche zu bringen und zu formulieren.
Unwiderstehlich fühlt sie sich so zur Dame des Hauses, der geheimnisvollen Miss Grange, hingezogen. Diese hat ein unangepaßtes Leben geführt und niemals geheiratet. Jetzt nimmt sie Maisie auf ihre Spaziergänge mit und erzählt ihr allerlei seltsame Geschichten, von einem Feuer in Grange House und einer Mutter, die ihr in Irland todkrank zurückgelassenes Baby in ihrem angeblichen Neffen zu erkennen glaubt. Auch führt sie Maisie zu einem versteckten alten Grab. Noch zögert Maisie jedoch, ob sie das Gehörte für bare Münze nehmen soll oder ob es sich um literarische Entwürfe von Miss Grange handelt.
Nach weiteren tragischen Ereignissen nimmt sich Maisie schließlich selbst der Klärung der in die Vergangenheit zurückreichenden Geschichte an. Miss Grange überläßt ihr alte Tagebücher, und so kann Maisie die Geschehnisse schön langsam zusammensetzen. Maisie muß entdecken, daß sie selbst und ihre Familie darin verwickelt sind. Und so gelingt es der jungen Frau schließlich, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu entscheiden, was gut für sie selbst ist.
In bester Tradition der Schwestern Brontë und ähnlicher Autorinnen zeichnet Sarah Blake das Porträt einer Frau, die im Rahmen des gerade noch Erlaubten ihren eigenen Weg zwischen Romantik und Selbstbestimmung geht: nicht unbedingt eine emanzipierte Heldin, aber doch eine Frau, die zu erkennen vermag, was sie will.
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