Was macht einen gelungenen Horrorfilm aus? Zunächst einmal ein realistisches Milieu, jenseits von kitschigen, abgehobenen Fantasy-Szenarien. "Stir of Echoes" ist einer der wenigen neuen Hollywood-Streifen, deren Plot sich in der Arbeiterklasse abspielt.
Aufblende in eine schlichte Vorortsiedlung von Chicago. Hier leben Tom und Maggy Writzky mit ihrem vierjährigen Sohn Jake. Tom alias Kevin Bacon wäre irgendwann mal gerne Rockmusiker geworden, doch diese Seifenblase ist zerplatzt und ein schnöder Alltag als Bauarbeiter ist übriggeblieben. Kein Wunder, daß die Nachricht von einem zweiten Kind dem frustrierten Thirtysomething, der eigentlich nie so bürgerlich werden wollte, nicht gerade ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.
Bei einer Party läßt sich Tom zum Spaß von seiner hippiesken Schwägerin (Ex-Scorcese Gattin Illiana Douglas) hypnotisieren. Wider Erwarten gleitet der Skeptiker schon nach wenigen Sekunden in Trance. Und plötzlich sieht er Bilder aufblitzen, die sein lethargisches Leben für immer verändern...
Der perfekte Schocker und seine Gesetze, Teil 2: Wenn du ein glaubwürdiges Milieu etabliert hast und die Figuren dem Zuschauer ans Herz gewachsen sind, dann kann es losgehen. Zieh deinen Helden den Boden unter den Füßen weg. Lege ihre wackelige Scheinidylle in Schutt und Asche.
Tom Writzky erwacht aus der Hypnose mit der dunklen Ahnung, daß in seinem Haus ein schreckliches Geheimnis vergraben ist. Grauenhafte Visionen von blutverschmiertem Holz, ausgeschlagenen Zähnen und abgebrochenen Fingernägeln quälen ihn bald auch am hellichten Tag. Und als ob das nicht genug wäre, redet sein kleiner Sohn auch noch mit Geistern. Maggie Writzky beginnt sich berechtigte Sorgen um ihre Familie zu machen, die Nachbarn fangen über den Paranoiker next door zu tuscheln an. Als Tom immer obsessiver tiefe Löcher in seinem Garten und Keller gräbt und dabei auch emotionale Schichten freilegt, die der Rest der kleinen Blue-Collar-Community am liebsten ewig verdrängt hätte, gerät die gemütliche Vorortwelt aus den Fugen.
Lange vor der überfälligen US-Selbstgeißelungswelle in Streifen wie "Happiness", "Election" oder "American Beauty" war es das Horrorkino, das den American Dream am fiesesten attackierte. Regisseure wie George Romero oder Wes Craven demontierten in ihren Zombie- und Splatterfilmen ganz nebenbei auch die biederen Lebenslügen der bürgerlichen Welt. In Klassikern wie "Dawn of the Dead" (a.k.a. "Zombie") sind es nicht die tumb umhertorkelnden Untoten, die die Katastrophe an den Endpunkt treiben, sondern die Dummheiten und Abgründe der menschlichen Natur. An diese, im Zeitalter postmoderner Belanglosigkeiten à la "Scream" verloren geglaubte Tradition, schließt David Koepp (der u. a. die Drehbücher zu "Der Tod steht ihr gut", "Carlitos Way" und den beiden "Jurassic Park"-Filmen verfaßte) mit "Stir of Echoes" an. Endlich gibt es wieder einen Horrorfilm mit sozialen Einblicken, der das Böse dort ortet, wo es wirklich steckt: im lieben Mitmenschen.
Fehlt nur noch eine Zutat zum perfekten Schock-Cocktail: der Gänsehautfaktor. Dazu nur soviel: Wer sich schon vor den konventionellen Geistern im katholischen "Twilight Zone"-Verschnitt "Sixth Sense" gefürchtet hat, der wird hier Schweißausbrüche bekommen. "Stir Echoes" findet endlich eine neue Bildsprache für das Grauen (nicht unähnlich den zuckenden Wesen in gewissen Marylin-Manson-Videos), und das Ergebnis geht unter die Haut.
Daß das Leben ungerecht ist, erfährt nicht nur Kevin Bacon (in seiner besten Rolle seit "Tremors") im Film am eigenen Leib. Schon wieder ein Mysterythriller, haben sich nach "The Sixth Sense" wohl die US-Kinobesucher gedacht und David Koepps Streifen bei seinem Start eher gemieden. Schade, denn "Stir of Echoes" - deutscher Verleihtitel "Echoes - Stimmen aus der Zwischenwelt" - hat das Zeug zum Genreklassiker.
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