Witzig, klug und voller Verständnis für menschliche Schwächen: "Lust auf anderes" ist ein weiteres Indiz dafür, daß sich der französische Film von seiner Idiotenphase der späten 90er Jahre erholt hat.
Für einige Wochen wird der Fabrikant Castella (Jean-Pierre Bacri) in ein Naheverhältnis zu zwei Leibwächtern gezwungen - solange, bis der neue Vertrag mit ein paar Japanern unter Dach und Fach ist. Einer der Bodyguards heißt Moreno (Gérard Lanvin), der andere - eigentlich öfter als Chauffeur tätig - Deschamps (Alain Chabat). Natürlich sind die drei Männer grundverschieden: Castella ist ein typischer Neureicher; seine hysterische, völlig egozentrische Frau hat das gemeinsame Haus in gräßlich kindlichem Stil "innenausgestattet" und hält sich nun für eine Fachfrau in Sachen Interior Design. Castella ist prinzipiell mit sich zufrieden; er ist erfolgreich, seine Firma läuft gut. Andere Interessen hat er kaum; Kunst und Kultur scheren ihn nicht, und daß er einen Schnauzbart trägt, sollte eigentlich alles über seinen Mangel an Klasse sagen. Moreno wiederum ist ein abgebrühter, starrköpfiger Reaktionär, allerdings mit einer sympathischen Seite. Er wirkt stark und potent; Frauen mögen ihn, doch lange Beziehungen sind ihm noch nie geglückt. Deschamps schließlich ist ein eher weicher Typ, sanft und etwas einfältig. Er scheint sich damit abgefunden zu haben, daß das Leben kaum Schokoladenseiten hat, und kommt damit ganz gut zurecht.
Diese drei Leute verbringen Tag und Nacht gemeinsam, und wir dürfen ihnen dabei zusehen. Das mag etwas uninteressant klingen, ist aber längst noch nicht alles. Castella hat eine neue Führungskraft eingestellt, und dieser Mann, ein studierter Volkswirt, will Stil und Grandeur in Castellas Bude bringen. Deshalb bestellt er eine Englischlehrerin für ihn. Dieses Fräulein (Anne Alvaro) komplimentiert Castella vorerst unhöflich hinaus. Dann aber, als seine Frau ihn zwingt, ein Theaterstück anzusehen, in dem seine Nichte eine Rolle spielt, sieht er die Englischlehrerin wieder - als Berenice auf der Bühne. Von Stund an ist Castella wie ausgewechselt. Gebannt verfolgt er das Drama, und zum Schluß kullern ihm tatsächlich Tränen über die Wangen. Völlig hingerissen besucht er wieder und wieder das Theaterstück und nimmt auch immer mehr Englischstunden. Er hat sich offensichtlich in seine Lehrerin verliebt. Diese allerdings, kunstbeflissen und selbstbewußt, belächelt den Provinzfürsten nur, und ihre Freunde, die er in ihrem Stammcafé mit seinem Geld zu beeindrucken versucht, verarschen ihn gekonnt, ohne daß er es merkt.
In diesem Café arbeitet die Kellnerin Manie (Regisseurin Agnès Jaoui), die sich als Haschisch-Dealerin ein Zubrot verdient - und die einst mit Castellas Chauffeur Deschamps eine Nacht verbracht hat. Deschamps erinnert sich zwar nicht gleich, landet dann aber doch im Bett mit Manie. Daraus ergibt sich eine kurze Affäre, die Manie allerdings schon nach dem ersten Zusammentreffen mit Moreno beendet, weil sie ab nun den herb-männlicheren Typen haben will. Deschamps und Moreno verstehen sich trotzdem weiterhin prächtig, und irgendwie scheint auch die Englischlehrerin langsam Gefühle für Castella zu entwickeln...
Stilsicher, zielstrebig und punktgenau erzählt Agnès Jaoui ihre Geschichte. Trotz ihrer offensichtlichen Jugend (sie spielt ja selbst mit) beweist sie eine erstaunliche Fähigkeit zur psychologischen Einsicht; ihre Figuren haben ebensoviele unsympathische wie liebenswerte Eigenschaften, und die Schicksale der Protagonisten, wenn auch ohne größere Höhen und Tiefen gezeichnet, gehen einem nahe. Das ist etwas, was Hollywood nur noch zwei- oder dreimal pro Jahr zusammenbringt, während die Franzosen in letzter Zeit einen Film nach dem anderen in dieser Qualität herausschwitzen - zumindest, solange Leos Carax nicht Regie führt. "Lust auf anderes" hat in Frankreich übrigens alle Rekorde gebrochen: Über 3,5 Millionen Franzosen sahen ihn bereits im Kino.