Last night a DJ saved my life

Der Titel des SF-Romans "reMix" erinnert nicht umsonst an die aktuelle Dancefloor-Kultur. Jon Courtenay Grimwoods neues Werk sorgt beim Leser für mindestens 250 beats per minute. Werft die Herzschrittmacher an!

Der Mond ist längst besiedelt, doch auch LunaWorld unterteilt sich in Luxusviertel, Slums und Touristenfallen, ganz wie auf der guten alten Erde. In den Tunnels und Luftschächten der Kolonie hausen mutierte, eltern- und heimatlose "ratboys", die sich als Abfall- und Informationssammler mit Hacker-Talenten durchschlagen. McDonald´s verkauft Sojaburger. Im Eilverfahren geklonte Menschen werden zu effizienten Killern programmiert. Auf der Erde tobt ein von islamischen Extremisten losgelassener Virus, der sämtliche Metallverbindungen (und daher auch Computersysteme) zerstört. Reiche Leute tragen elektronische Designer-Tattoos am Handgelenk, die Termine, News und die Uhrzeit ansagen. Drogen werden direkt an die Nervenenden im Gehirn appliziert. Und ein Star-DJ, der etwas auf sich hält, zieht aus trendigen Gründen einen "Tetsuo" durch - d. h., er läßt sich beide Beine durch kybernetische Gliedmaßen ersetzen.

Besagter Plattenaufleger heißt Fixx Valmont, hat seine besten Zeiten hinter sich und steckt tief in der Scheiße. Dummerweise hat er nämlich ein Verhältnis mit LizAlec Fabio, dem frühreifen Töchterchen der mächtigsten Frau Frankeichs (sie leitet den Geheimdienst) angefangen - und jetzt ist die Kleine entführt worden; noch dazu, als sie gerade auf dem Weg ins noble Mädcheninternat auf dem Mond war. Da Paris wegen des Technikkollapses im Chaos versinkt und die Truppen des faschistischen Vierten Reichs vor den Toren der Stadt stehen, kann die Frau Mama selbst nichts unternehmen und macht daher Fixx einen Vorschlag: entweder er bringt LizAlec zurück, oder sie foltert ihn höchstpersönlich zu Tode. Ach ja, und das französische Imperium wird auch im 21. Jahrhundert noch von einem Kaiser und direkten Nachfahren Napoelons geführt...

"William Gibson meets Quentin Tarantino", lautet der von einer Rezension inspirierte Werbespruch, mit dem der Verlag diesen - auch von der Cover-Gestaltung her durchaus szenekompatiblen - Roman einer breiteren, nicht auf die Science-Fiction-Leserschaft beschränkten Öffentlichkeit nahebringen will. Teil eins dieses griffigen Slogans stimmt durchaus: "reMix" ist Cyberpunk, vermischt mit einer ordentlichen Portion Alternativwelt-SF. Den alten (und gar nicht mehr so hippen) Quentin heraufzubeschwören, nur weil Drogenmißbrauch, exzessive Gewalt und Perversion in Grimwoods Buch nicht zu kurz kommen, konnte allerdings nur einem Kritiker einfallen, der von diesem Subgenre nicht allzuviel Ahnung hat - denn die obigen Elemente zählen seit "Mirrorshades" zu den fixen Bestandteilen der Cyberpunk-Welt.

Was eigentlich nur heißt, daß man derartige Lobhudelein ignorieren sollte. Wirklich preisen muß man Jon Courtenay Grimwood hingegen für die überzeugende Welt, die er in "reMix" (und anderen Werken seines Romanzyklus, wie "Lucifer´s Dragon" und "redRobe") erschaffen hat. Es ist eine Welt voll kleiner Einzelheiten, wie sie ein Lifestyle-Beobachter der Zukunft aufschnappen würde und die sich logisch aus aktuellen Trends unserer Gegenwart entwickelt haben (DJ-Kultur, Breitbandnetze, mobile Computer, modische Ausrutscher usw.). Und es ist eine Welt, die durch eine adrenalinsteigernde Krimihandlung, zynisch beschriebene Politintrigen, ein paar deftige Sex- und Gore-Szenen und die gekonnte Hinzufügung einer Sekte, die auf einer Raumstation einen neuen Garten Eden bauen will, noch überzeugender wirkt.

Daß man dieses Tempo und eine solche Dichte nicht bis zum Schluß durchhalten kann, sei dem Autor verziehen. Wahrscheinlich hatte er keine neurokybernetischen Drogen zur Verfügung, sondern mußte sich auf ganz normale Kreativität verlassen. Und die hat bekanntlich ihre Grenzen.

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Über den Autor:
Jon Courtenay Grimwood wurde in Malta geboren und in einer umgedrehten Schiffsglocke getauft. Er wuchs in England, dem Fernen Osten und Skandinavien auf; heute arbeitet er als freier Journalist und lebt in Nordlondon. Er schreibt für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, u. a. den "Guardian" und die SF-Monatsillustrierte "SFX".