Dr. Ostbahns Urlaubsvertretung

Geh scheißen, Imperfekt! Soviel in Kürze zum Tempus des neuen Ostbahn-Romans "Peep-Show". Diesmal wurde die kriminelle Geschichte aber nicht nur von Günter Brödl allein ausgetüftelt und in Szene gesetzt. Erst das kongeniale literarische Duett mit dem Mysterien-Profi und Journalisten Peter Hiess machte die Wiener Rock´n´Roll-Antwort auf Francis Durbridge möglich.

Versuchen wir´s so: Eine Situation, die theoretisch unmöglich passiert sein kann, ist praktisch doch passiert - und dieses Rätsel läßt einen nicht mehr los, hält einen bis zum Schluß an der rabiat-witzigen und charmanten Story in bewährter Ostbahn-Qualität, die sich derart halt nur in Wien ereignen kann.

Oder doch lieber so: Der Mörder ist immer der Polifka. Nein, ganz im Ernst: Der Polifka Rudl hat die Rikki, ihres Zeichens Nackttänzerin und Freundin (platonisch, versteht sich) vom Herrn Ostbahn, nicht gekillt, aber interessant wär´s schon, mit welchem Protagonisten nebst dazugehörigem Film der Rudl sich und die Bluttat verglichen hätte: "I hobs gmocht wia da Klaus Kinski in Peeping Tom...". So vielleicht oder auch anders, denn der Herr Polifka ist ein echter Movie-Freak, hat er doch jahrelang im legendären und längst geschlossenen Handl-Kino gearbeitet.

Heute fristet der stets besoffene Ex-Billeteur in der Live Girl Revue sein bitter-süßes Dasein an der Wechselkassa. Und dort wäre er auch beinahe Augenzeuge der mysteriösen Bluttat geworden, wenn er im entscheidenden Augenblick auf den Kontrollmonitor geschaut hätte. Aber das hat er nicht - was ihn in weiterer Folge nicht daran hindert, das seinige zur Aufklärung des Verbrechens beizutragen und bei der Gelegenheit eine stattliche Anzahl völlig haltloser Vergleiche aus der Welt des Films aus dem Ärmel zu schütteln. Seine Unzulänglichkeit in Sachen Hollywood macht ihn zur originellsten Figur im Ostbahn-Krimi-Ableger "Peep-Show".

Polifkas berufsbedingter Aufenthalt am Tatort läßt ihn genaugenommen verdächtig erscheinen, doch man kann ihm eben wirklich nichts anlasten. Abgesehen davon, hat sich der kriminalistisch unterbelichtete Kommissar Skocik bereits von Anfang an auf seinen besten Feind, den Dr. Kurt Ostbahn eingeschossen. Der war´s aber auch nicht (no na). Also müssen erst einmal viele Turbulenzen überwunden und noch viel mehr Tequilas gekippt werden, bis die Herren Trash und Trainer dem Mörder der Rikki auf die Spur kommen und somit den Kurtl von jeglichem Verdacht reinwaschen. Der weilt ja eigentlich auch gar nicht in Wien, sondern in New Orleans, wo er nichtsahnend die Wurzeln des R&B erforscht. Und deswegen müssen sich zur Abwechslung seine Freunde ganz allein als Privatermittler betätigen.

So weit, so gut, und jetzt zum Stil: Hochgeschwindigkeits-Sequenzen rattern über die Pupille direkt ins Kleinhirn, überschlagen sich dort wie ein wildgewordener VW-Käfer mit Reifenplatzer in der Jochen-Rindt-Kurve und lassen dem Leser kaum Zeit, darüber nachzudenken, wer´s denn nun wirklich war, und vor allem, wie er´s gemacht hat, weil der nächste Plot-Point schon wieder erbarmungslos zuschlägt, und zwar just in jenem Augenblick, da man wie einst der Wickie gern gejubelt hätte: "Ich hab´s!" Folge: Das ohnehin schon labile Gedankengebäude fällt zusammen wie ein Kartenhaus, und man steht wieder blöd am Anfang seiner Überlegungen. So wie auch der Trash und der Trainer, deren Kommentare und Dialoge an Witz und Originalität nichts zu wünschen übrig lassen.

Wie schon bei den bisherigen Ostbahn-Krimis wird der Leser, ob er will oder nicht, in die noch immer unerforschten Weiten der Wiener Seele hineingezogen (an der sich ja schon so mancher Literatur-Kosmonaut die Zähne ausgebissen hat), um irgendwann im Laufe der Handlung ganz plötzlich zu begreifen, daß keiner sie je begreifen wird. Und das macht den Schreiber dieser Zeilen glücklich und traurig zugleich. Es fragt sich, ob dereinst, wenn die "Obey Your Thirsts" und "Chicken McNuggets" den Wiener Schmäh endgültig umgebracht haben werden, der Trash und der Trainer den Mördern noch einmal das Handwerk legen werden können? Der Skocik und seinesgleichen schaffen sowas jedenfalls nicht, soviel steht fest. Und dem ist auch gar nichts mehr hinzuzufügen.
herzlichst

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Über den Autoren:
Günter Brödl ist der kongeniale Partner von Kurt Ostbahn, der mit seiner Kombo seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht nur auf österreichischen Bühnen für Furore sorgt. In den Ostbahn-Krimis hat Brödl seinen Freund zur Kunstfigur gemacht und damit in den Olymp der Krimiliteratur gehoben, wo er direkt neben Sam Spade, Philip Marlowe und Inspektor Kottan thront.
Peter Hiess wohnt in Wien und schlägt sich dortselbst - nach Kurzkarrieren als Anrufbeantworter beim Fernsehen sowie medizinisches Versuchskaninchen - als freischaffender Journalist, Autor und Übersetzer durch. Bisherige Werke u. a.: "Die Mordschwestern" (mit Christian Lunzer), "Richtig wandern im Wienerwald" (mit Helmuth Singer). Er wohnt ganz in der Nähe von Dr. Trash; außerdem ist er EVOLVER-Chefredakteur.