Von Anfang an war es der feste Wille der kalifornischen Band Tool, ihre eigenen ästhetischen und inhaltlichen Vorstellungen mit Hilfe einer Rockband auszudrücken. Das ist den stillen und scheuen Musikern mit ihrem neuen Album "Lateralus" exakt gelungen.
Tool sind mit ihrer Musik auf einem Güteniveau wie Radiohead oder die dahingeschiedenen Smashing Pumpkins anzusiedeln. Ihr Erfolg in Amerika ist denn auch ähnlich groß; zumindest war das bei ihren ersten beiden Alben so. Gerade in Europa gibt es aber noch Nachholbedarf, blieb doch beispielsweise das wunderschöne Vorgängeralbum "Aenima" in den Regalen stehen und damit ein Geheimtip. Dabei spielt es schon eine Rolle, daß Tool definitiv keine kommerzielle Orientierung in ihrer Musik haben und ihre Singles eher nach der visuellen Interpretierbarkeit für ihre kunstvollen Videos auswählen. Ein weiteres Hindernis war und ist die Einstellung von Sänger Maynard Keenan, der bei Interviews notorisch schweigt und sich lieber den geschorenen Kopf reibt, statt zu antworten. Sein "Alter ego" gleichen Namens hat hingegen eine Perücke auf und singt bei den Senkrechtstartern A Perfect Cycle. Bereicherte deren Debütalbum "Mer des noms", auf dem Keenan wesentlich eingänglicher sang, noch der Aufkleber "Featuring Tool´s Vocalist", dürfte es zumindest in Europa andersherum laufen.
"Lateralus" ist erneut ein episches Album, das schon in seiner optischen Gestaltung zeigt, daß Tool eine eigene Vorstellung vom informativen Code im System der Rockmusik haben. Es gibt keine Lyrics; der CD liegt nur ein transparentes Inlay bei, auf dem mehrere farbige Pausen des Innenlebens eines Kopfes gezeichnet und übereinandergelegt sind. Tatsächlich handelt es sich um ein Konzeptalbum über die Reflexion des eigenen Geistes, auf dem Stimmungen und Differenzen musikalisch perfekt abgebildet werden. Das Album muß man mehrere Male auflegen, was bei Tool ohnehin eine Selbstverständlichkeit ist. "Lateralus" zu hören ist tatsächlich, wie einen beeindruckenden Film wieder und wieder zu sehen. Ob es eines der griffigeren, kürzeren Stücke wie "Schism" ist, in dem die Band die komplexe Architektur ihrer Songs teilweise dekonstruiert, oder eine inhaltliche Kette wie "Parabol-Parabola"-"Ticks&Leeches" - die malerische Traurigkeit und Zurückhaltung der Selbstreflexion kann man Tool auf ihrem neuen Album überall anhören.
Am Ende der CD gipfelt der Ego-Trip schließlich im über zehn Minuten langen Epos "Reflection". In diesem faszinierenden Song vereint die Band psychedelische und progressive Elemente mit Härte in einer musikalischen Genialität, wie sie ihresgleichen sucht. Die hypnotischen Elemente verschmelzen mit dem hellen Gesang von Maynard Keenan, der klingt, als wäre er rückwärts aufgenommen.
"Lateralus" schwebt auf einer eigenen Wolke und läßt nur den geduldigen Hörer mit sich fliegen. Den komplexen und definitiv avantgardistischen Sound in das Korsett eines Genres zu pressen, wäre ein Totschlag der fragilen Gebilde, die diese Künstler geschaffen haben. Dies ist ein Album, von dem man sich getrost die nächsten drei Jahre begleiten lassen kann.
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