Liebe kann zum Horror werden, wie der hochgehandelte Japan-Export "Audition" mit expliziten und schaurig-schönen Bildern eindrucksvoll vor Augen führt. Regisseur Takashi Miike und sein (international) bekanntester Film sind eine Entdeckung wert.
Auch wenn sie im japanischen Kino fast schon Klischee sind, so lassen sie einen nicht so schnell los: mädchenhafte Gesichter, halb verdeckt hinter langen schwarzen Haaren, die den Blick stets schüchtern senken. Ihrer Faszination erliegt (nicht nur) der japanische Durchschnittsmann nach wie vor, sondern auch der wohlhabende Witwer und alleinerziehende Vater Shigeharu Aoyama (Ryo Ishibashi), der sich nach dem tragischen Tod seiner Frau und langen Jahren der Einsamkeit genau nach dieser Mischung aus Unschuld und Distanz sehnt. Sein bester Freund will ihm bei der Suche nach einer geeigneten Heiratskandidatin helfen und inszeniert als Fernsehproduzent mit ihm gemeinsam eine gefakete Audition. Die Wahl fällt auf eine geheimnisvolle Schöne: Asami ist jung, sanft, poetisch - und ein leichtes Handicap zieht ihn noch stärker an. Shigeharus Freund und sein Sohn Shigehiku (Tetsu Sawaki) ermuntern ihn, doch die sich entspinnende Liebesgeschichte erfährt durch seltsame Begebenheiten unschöne Irritationen. Bei Nachforschungen gerät Aoyama immer tiefer in die mysteriöse Vergangenheit Asamis und fördert Grausiges zutage. Gleichzeitig kann er sich dem Abgründigen, das da lauert, schwer entziehen…
Was "Audition", das nach einer Romanvorlage von Ryu Murakami ("Tokyo Decadence") entstand, so verstörend macht, ist das konsequente Pendeln zwischen (anspruchsvollem) Kunst- und (kommerziellem) Horrorfilm, das Asien-Genre-Connaisseure auch aus anderen Streifen kennen werden. Geschickt unterläuft Miike, die jüngste Entdeckung des neueren Japan-Kinos, die geeichten Erwartungshaltungen des Zusehers mit einer (auch inszenatorischen) Parabel über das Quälen. Trotz üblicher Schocksequenzen funktioniert das großartig gefilmte kleine Meisterwerk nur oberflächlich als Horror-Movie. Denn erst nach einer fast stoisch langsamen Einleitung, die immer wieder von surreal anmutenden Flashbacks und Parallelschnitten durchbohrt wird, zieht einen das Ende in ein schwarzes Loch des Grauens.
Interessanter aber ist, daß Miike hier vielen gängigen männlichen Phantasien und Obsessionen hämisch und recht schonungslos den Garaus macht. Neben den oben angeführten Klischeevorstellungen räumt der 41jährige Regisseur ganz besonders mit dem Fetischismus der Unschuld und vor allem mit dem sadomasochistischem Liebäugeln auf ganz und gar ungenüßliche Weise auf. Er läßt die beinahe perfekt schöne Heldin Asami sich in einer Opfer/Täter-Umkehrung gegen diese ausnützenden Bilder tatkräftig zur Wehr setzen - und stellvertretend für die lieben Mädchen mit langen Haare Rache üben. Und zwar mit Spritze und Knochensäge...
Mit "Audition" gelang Takashi Miike, der bereits über 30 Filme drehte und nur drei Tage lang die Filmschule besuchte, der Durchbruch im Westen. Das Handwerk erlernte er - wie viele japanische Regisseure - mit Low Budget-Videoproduktionen, die durch sämtliche Genres führten, oder, wie er selbst meint: "Ich habe mir Bruce-Lee-Filme angeschaut."
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