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Wüsten haben ein seltsames Eigenleben: Wer lange genug lauscht, kann die Dünen singen hören. Wüsten sind die einzige Passion Raoul Loupers, der Hauptperson in Raoul Schrotts neuestem Werk "Die Wüste Lop Nor", die eine ähnlich reduzierte Existenz führt wie der Gegenstand seiner Leidenschaft.
Raoul Loupers Besitztümer sind schnell aufgezählt: "Dinge, die auf dem Fenstersims liegen: ein Pinienzapfen, ein Cri-Cri und ein Stein". Und da ist noch etwas: eine Kiste mit Glasröhren, die randvoll mit dem Sand verschiedener Wüsten - Lop Nor in der Wüste Gobi, die Dünen von Sarah in Ägypten, Erg Tiffernine in der Sahara - gefüllt sind.
Sollte er einmal eine Tochter haben, würde er sie Tiffernine nennen. Doch Raoul Louper hat keine Kinder. Seine Liebesgeschichten enden zu schnell, obwohl sie im Grunde nie ganz zu Ende sind. Die drei Gegenstände am Fenster erinnern ihn an drei Frauen - Francesca, Arlette und Elif -, und diese wiederum an drei Städte - Grosseto, Quimper und Iquito. Wie in einem Märchen zieht sich die Dreizahl durch ein Buch, das ansonsten assoziativ aufgebaut ist.
Bei der Lektüre von Raoul Schrotts Novelle "Die Wüste Lop Nor" drängt sich der Gedanke einer Identität des Autors und seiner Figur auf. Schrotts Biographie liest sich wie ein Reisetagebuch. Raoul Louper gleich ist seine Heimat überall und nirgendwo: in São Paolo geboren (es existiert die Mär, er wäre an Bord eines Schiffes bei der Überfahrt von Brasilien nach Europa zur Welt gekommen), aufgewachsen in Tunis und Landeck, Studium in Norwich, Paris, Berlin und Innsbruck, Sekretär des Surrealisten Philippe Soupault in Paris, Universitätslektor in Neapel, momentane Aufenthaltsorte in Cappaghglass, Seillans und Innsbruck. Die Biographie des 36jährigen ist ebenso dichtgedrängt wie seine Bibliographie, die Romane, Lyrikbände, Drehbücher, Anthologien, Vorlesungen und Übersetzungen aus unzähligen Sprachen umfaßt - darunter Gälisch, Sumerisch und Okzitanisch. Nicht zufällig hat er sich H. C. Artmann als Vorbild auserkoren, auch wenn das Schaffen der beiden höchst unterschiedlich ist.
Raoul Schrott weiß, daß man ihn mit seiner Figur Raoul Louper gleichsetzen wird. Und er spielt auch damit, wenn er meint: "Von mir war kaum die Rede, ich weiß. Ich höre Elif jetzt zu, wie sie erzählt, Elif, die dort im Stuhl sitzt, die Augen groß und glänzend in der Dämmerung. Raoul hat..., sagt sie; aber ich bin nicht Raoul."
Man sollte "Die Wüste Lop Nor" nicht zu ernst nehmen. Es ist ein schönes poetisches "Expeditionstagebuch", das durch seine verknappte, sentenzartige Sprache flüssig zu lesen ist. Es ist ein Buch, das auch Kitsch in den teilweise eingeschobenen Parabeln nicht scheut. Schrott hat keine Angst vor großen Gefühlen. Sein letzter Gedichtband "Tropen" trug den Untertitel "Über das Erhabene", und erst kürzlich meinte er bei der Präsentation seiner Novelle in Wien: "Wir können uns den Begriff der Schönheit absolut leisten."
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