Vielleicht muß man Berliner sein, um die Inchtabokatables zu verstehen oder zu lieben. Auf ihrem neuen Album setzten die Prenzlberger (ein Bezirk im östlichen Zentrum der Stadt) den bereits auf den Vorgängern in Ansätzen zu erkennenden Ausflug in die Gefilde des Noise konsequent fort.
Wer mit dem Namen Inchtabokatables Mittelaltermucke für im Kern uncoole Soziologiestudenten verbindet und an ein Paralleluniversum zu Subway to Sally und In Extremo denkt, dem sei gesagt, daß sich die Band schon vor über drei Jahren von ihren noch in der DDR gewachsenen Wurzeln verabschiedet hat. Das neue Album ist ihr erster Release für die neue Plattenfirma - und ein Einstand nach Maß.
Dabei sind die Inchies ein hohes Risiko eingegangen: Sie haben sich an sieben Minuten langen Klangorgien versucht, eine ganze Menge elektronischer Elemente in ihren ohnehin weitverzweigten Sound eingebaut und es darauf angelegt, sich die Sympathie ihres Publikums zu verscherzen. In der Tat bietet "Mitten im Krieg" jede Menge akustisches Konfliktpotential und ist ein Album, das man nur entweder verdammen oder kapieren kann.
Hat man die charakteristischen Melodien der (leider nur) neun Noise-Industrial-Balladen einmal gehört, assoziiert man den Sound der Inchtabokatables mit "The Fragile" von den Nine Inch Nails, stellenweise auch den Einstürzenden Neubauten, den Young Gods und der französischen Schule des Ambient-Industrial (Treponem Pal u. a.). Daß das Artwork, die Lyrics und die Grundstimmung von "Mitten im Krieg" avantgardistisch anmuten, paßt zur Gangart der Stücke.
Was sich schon auf "Quiet" und "Too Loud" andeutete, haben die Inchies nun in die Tat umgesetzt. Sie akzeptierten ihren eigenen Reifeprozeß und warfen allen unnötigen Ballast ab. Außer der Instrumentierung und dem Gesangsstil blieb nicht viel von den ursprünglichen Eigenheiten; dafür kamen jede Menge neue dazu. Die Band versteht es auf "Mitten im Krieg" hervorragend, eine Dynamik des Wechselspiels zu inszenieren - und dieser Ausdruck hat Sinn, weil das Albumkonzept durchaus theatralisch anmutet. Das Metaldrumming von Ex-Roadie Titus akzentuiert die schwelgenden Monotonien der Sequenzer-Schläge. Die Streicher kommen in allen Koloraturen zur Wirkung und sind gerade deswegen auf die wärmste aller denkbaren Arten analog. Der Rest ist Stille oder Lärm, kalt und ungewohnt. Es sollte einem normalerweise zu denken geben, wenn ein Album nur noch in der Art von "Spex" zu rezensieren ist - doch dieses verlangt geradezu danach.
"Mitten im Krieg" ist eigentlich ein sehr ironischer Titel für das bisher ruhigste Album der Inchtabokatables. Das mag ein Indiz für den Noise-Anteil der Lieder sein; möglicherweise spielt die Band auch auf einen "Rosenkrieg" an (das Cover verleitet zu dieser Annahme). Mitten im Hirn setzen sich jedenfalls die Stücke, aus denen ein einzelnes hervorzuheben nur wenig Sinn hätte, schon beim achten Durchlauf fest. Wem das zu viel ist, der sollte sich vielleicht lieber das neue Album von Subway to Sally kaufen, die einmal gar nicht so weit von den Inchtabokatables entfernt waren. Heute verbindet die Musiker nur noch die Stadt, in der sie leben.
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