In Christian Petzolds leisem, unprätentiösem Film "Die innere Sicherheit" findet ein seit 15 Jahren untergetauchtes Ex-RAF-Terroristenpaar ein fast ungerecht erscheinendes Ende.
Seit der Geburt der gemeinsamen Tochter Jeanne (Julia Hummer) vor 15 Jahren sind die ehemaligen RAF-Mitglieder Hans (Richy Müller) und Clara (Barbara Auer) in Portugal untergetaucht. Aber auch dort leben sie noch immer in ständiger Angst und Paranoia. Vor allem Jeanne leidet darunter; sie hat noch nie ein normales Leben geführt. Als der junge Surfer Heinrich (Bilge Bingül) sie am Strand anspricht und fragt, was sie hier außerhalb der Saison mache und warum sie nicht in die Schule müsse, lügt sie zuerst und schweigt dann verbissen - ganz so, wie ihr die Eltern das eingebläut haben. Und Mama Clara hetzt unterdessen einem Touristen nach, der unabsichtlich ein Foto von ihr gemacht hat.
Nachdem Einbrecher das Hotelzimmer der Familie ausgeräumt haben und den Verbrechern gar noch das restliche Geld aus dem Bahnhofsschließfach in die Hände fällt, ist die Familie plötzlich mittellos und muß nach Deutschland zurückfahren. Diese Heimkehr in ein fremd gewordenes Land, das die alten Sünden der RAF-Zeit mit unverminderter Härte verfolgt und auch vor Erschießungen nicht zurückschreckt, ist der blanke Horror. Hans und Clara müssen Geld besorgen. Sie pumpen alte Bekannte an, heben Depots aus der wilden Zeit aus, bitten Freunde um Hilfe. Jeanne findet das Haus, das ihr Heinrich als das leerstehende Anwesen seiner Eltern beschrieben hat, und die Familie taucht zuerst einmal dort unter. Aber Heinrich wohnt, wie Jeanne bald herausfindet, gar nicht in dem Haus, sondern in einem nahegelegenen Waisenheim. Die beiden kommen einander näher, und das ist für Jeanne wie ein Rettungsanker, wie eine Brücke in die Welt der Alltagsmenschen. Die Eltern billigen diese Beziehung natürlich nicht; sie wollen Jeanne zu den Großeltern bringen. Nur das Versprechen, daß sie Heinrich nicht wiedersehen und auch nicht mehr allein in den Supermarkt gehen werde, hält sie davon ab. Hans und Clara müssen schließlich einen Banküberfall begehen, weil anders kein Geld mehr aufzutreiben ist. Und damit ist das Schicksal der Familie besiegelt...
Christian Petzold schrieb das Drehbuch zu seinem Film nach der öffentlichen Erschießung Christian Grams´ durch die bundesdeutsche Antiterror-Einheit GSG-9, nachdem er gelesen hatte, daß Grams im Untergrund Marmelade eingekocht und Lieder geschrieben habe. "Die innere Sicherheit" erzählt die Geschichte zweier Menschen, die ihre Fehler oder Verbrechen von früher längst bereuen und alles dafür tun würden, sie ungeschehen zu machen, aber mit einer Judikatur konfrontiert sind, die ihnen gegenüber keine Vergebung und kein Erbarmen kennt. Es ist eine haarige Angelegenheit, öffentlich ein Urteil über die RAF abzugeben. Tatsache ist, daß Leute wie Ulrike Meinhof einfach zu intelligent waren, um zu überleben. Und alles, was man sonst noch wissen muß, steht in Stefan Austs Buch über die Rote Armee Fraktion.
"Die innere Sicherheit" beschäftigt sich nicht mit politischen oder Gesinnungsfragen. Der Film erzählt seine Geschichte aus der Perspektive der Tochter, die einerseits nichts anderes kennt als die permanente Flucht im Familienkreis, und die sich andererseits nichts mehr wünscht als Normalität. Petzolds Film ist langsam, bedächtig und überlegt. Der Regisseur hat überaus lange gebraucht, um die Finanzierung dafür aufzustellen - kein Wunder bei dem Thema. Aber es hat sich gelohnt; bis auf ein, zwei budgetbedingte Schwachstellen ist der Film ein makelloser cineastischer Genuß. Besonders Lob verdient Julia Hummer; das selbst aus schwierigen Verhältnissen stammende Mädchen meistert seine erste Rolle bravourös. Ein äußerst sehenswerter deutscher Film.
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