"You Can Count On Me", das Regiedebüt des amerikanischen Theater- und Drehbuchautors Kenneth Lonergan, ist berührendes Erzählkino, wie es sonst eigentlich nur in Europa vorkommt.
Seit sie ihre Eltern im zarten Kindesalter bei einem Autounfall verloren haben, stehen die Geschwister Sammy (Laura Linney) und Terry (Mark Ruffalo) einander überaus nahe. Mittlerweile sind die Kindheitstage aber vorbei, Sammy kümmert sich nicht mehr um Terry, und die beiden führen sehr unterschiedliche Leben. Sammy ist im Familien-Heimatdorf Scottsville geblieben, arbeitet in einer Bank und meistert brav ihre Existenz als alleinerziehende Mutter. Sie hält die Fassade aufrecht, kümmert sich in Wahrheit aber nicht um die sozialen Zwänge im Dörfchen, sondern lebt modern, selbstbewußt und sogar leidenschaftlich. Terry dagegen ist ein Herumtreiber und Taugenichts, zwar charmant und charismatisch, aber heruntergekommen und wenig verantwortungsvoll. Er liebt Bars, kifft, prügelt sich, hat Probleme mit Frauen, und eigentlich ist ihm alles egal - einschließlich der eigenen Existenz -, weshalb er deutliche Tendenzen zur Selbstzerstörung zeigt.
Als Terry sich eines Tages bei Sammy zum Besuch ankündigt, ist die Freude riesig; Sammy ist völlig aus dem Häuschen. Daß Terry ihr beim Wiedersehen von seinem kürzlich absolvierten Gefängnisaufenthalt erzählt, regt sie zwar auf, doch sie nimmt ihn trotzdem bei sich auf und stellt ihm keine Bedingungen. Er kann bleiben, solange er will. Schnell freundet sich Terry mit Sammys achtjährigem Sohn Rudy (Rory Culkin) an und erfüllt damit die Hoffnungen seiner Schwester, einen guten Onkel abzugeben. Die Vorstellungen der Geschwister in Sachen Kindererziehung gehen jedoch weit auseinander; Terry nimmt Rudy z. B. in eine Bar mit, was Sammy beinahe dazu veranlaßt, ihn rauszuschmeißen. Und das ist nicht die einzige Katastrophe, in die Terry sich und die Seinen manövriert...
Kenneth Lonergans Spielfilmdebüt ist ganz und gar wahrhaftiges Erzählkino, bei dem auch die kleinsten Details aus dem Leben gegriffen sind. Der erfolgreiche Bühnenschriftsteller und Drehbuchautor ("Analyze This - Reine Nervensache") ist seit seiner Kindheit mit Matthew Broderick sowie mit seinem Hauptdarsteller Mark Ruffalo (dem die US-Presse eine große Karriere prophezeit) befreundet; Broderick spielt in "You Can Count On Me" den neuen Bankfilialleiter, mit dem Sammy trotz dessen hochschwangerer Gattin ein Verhältnis beginnt. Auch wenn immer wieder tragische Szenen passieren, es stellenweise zu Gewaltausbrüchen kommt, das eine oder andere verdrängte Drama das Leben versauert und die Geschwister sich schließlich wieder trennen, ist "You Can Count On Me" doch ein Feelgood-Movie erster Güte, noch dazu mit hohem künstlerischen Anspruch. Das erklärt auch seine zahlreichen Auszeichnungen und Preise, darunter ein Golden Globe, zwei Auszeichnungen des AFI (American Film Institute) sowie Preise bei den Filmfestivals von Sundance und London sowie Kritikerpreise in New York und Los Angeles. Außerdem war der Film für zwei Oscars nominiert. Wer sich also US-Kino mit hohem Anspruch gar nicht mehr vorstellen kann, sollte sich von "You Can Count On Me" eines Besseren belehren lassen. Ach ja: Produziert hat den Film Martin Scorsese.
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