Auf Nimmerwiedersehen, Miss Marple!

Wollten Sie schon immer einmal Emma Peels lesbische "Schwester" kennenlernen ? Leider hatte sie keine, aber Aud Torvingen kommt der Sache bereits ziemlich nahe. "Kalt wie Eis" erzählt die Geschichte von einer, die auszog, das Hobeln zu lehren.

"Sie wissen, weshalb ich hier bin, nicht wahr?"
Er drehte langsam den Kopf. Blut rieselte aus seinem linken Nasenloch.
Ich spannte den Revolver.
"Nicht wahr?"
Er schloß die Augen und nickte.
"Gut." Ich schoß ihm in den Bauch.

(Aud Torvingen in "Kalt wie Eis")

Innerhalb der letzten Jahre hat sich im Reich der Buchstaben ein neues Subgenre herausgebildet und gefestigt, die Gay- und Lesbian-Sparte, auf gut deutsch Schwulen- und Lesben-Literatur (bei Amazon gibt´s dafür neuerdings sogar einen Link zum Anklicken!). Nein - nicht, was sie jetzt denken, es handelt sich dabei keineswegs um irgendeinen grauslichen Schweinkram, sondern um ernstzunehmende Erzählungen, geschrieben meist von homosexuellen Autoren oder inhaltlich speziell innerhalb dieser Thematik angesiedelt. Vor allem, was Krimis und Thriller betrifft, sind solche Auswüchse durchaus auch für Hetero-Leser interessant und lesenswert, wie Nicola Griffiths mit ihrem neuen Roman "Kalt wie Eis" demonstriert.

Gerade als Aud Torvingen sich die Nacht mit einem ruhigen, entspannenden Spaziergang durch die Straßen Atlantas versüßen will, explodiert Jimmy Lusks Haus beinahe vor ihrer Nase. Dabei handelt es sich um ein Ereignis, das sie eigentlich nicht weiter beschäftigen würde, wenn ihr nicht ein paar Minuten zuvor Julia Bennet über den Weg gelaufen wäre, eine angesehene Kunsthändlerin und außerdem gute Freundin Lusks. Die Polizei legt den Fall bald ad acta, doch Julia will genau wissen, warum der unscheinbare Kunstgutachter sterben mußte und man in seiner Garage kiloweise Heroin sicherstellte. Zu ihrem Glück ist die reiche Diplomatentochter und Expolizistin Torvingen nicht nur eine Kampfkunstexpertin, die in ihrer Freizeit neue Rekruten in Selbstverteidigung unterrichtet, sondern arbeitet auch noch hin und wieder als Hobby-Detektivin sowie im Personenschutzgeschäft. Obwohl sie das Geld nicht nötig hätte, läßt sie sich zu diesem Job überreden, einfach um wieder einmal so richtig das geliebte Adrenalin durch ihre Adern fließen zu spüren und den ultimativen Kick der Gefahr zu erleben. Außerdem findet sie ein klein wenig Gefallen an der Kunsthändlerin. Hätten die beiden nur im vorhinein gewußt, worauf sie sich da einlassen...

Mit "Kalt wie Eis" begibt sich die preisgekrönte SF-Autorin Nicola Griffith auf neues Terrain. Statt sich irgendwo in der Zukunft in ihren lesbisch-utopischen Phantasien zu verlieren, bleibt sie diesmal ganz in der Gegenwart und liefert mit ihrem mittlerweile dritten Roman einen hervorragenden Thriller ab, der sich zwar hin und wieder in romantischem Geplänkel und diversen Schreinerarbeiten zu verlieren scheint, aber trotzdem nie langweilt. Vielmehr dienen diese Handlungsausflüge zur tieferen Charakterisierung Aud Torvingens und verhelfen ihr so zum Sprung aus dem schablonenhaften Schattendasein, das den meisten Thriller- oder Krimi-Protagonisten ansonsten zuteil wird. Angesiedelt irgendwo zwischen Blaine McCracken, Nikita und Emma Peel, kann Griffiths neueste Romanfigur durchaus überzeugen. Hinzu kommt, daß es die lesbische Autorin diesmal schafft, die gleichgeschlechtliche Liebe natürlich und glaubwürdig in die Geschichte einfließen zu lassen, statt sie wie bisher als das Maß aller Dinge zu präsentieren, wodurch speziell ihr letzter Roman "Untiefen" für die vielen Nichtlesben dieser Welt sehr unrealistische Züge annahm.

Kurzum: Aud Torvingen ist die schlagkräftige Antwort des Neunziger-Jahre-Postfeminismus auf Ikonen wie James Bond: rauh, charmant, scharfsinnig und genauso tödlich wie ihre männlichen "Vorfahren" - aber doch auch komplett anders. Man darf auf weitere Abenteuer hoffen.

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Über die Autorin:
Nicola Griffith, geboren 1960 in Yorkshire, hat bis jetzt drei Romane veröffentlicht. Ihre ersten beiden, "Ammonite" und "Untiefen", wurden beide ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nebula Award und dem Tiptree Award. Sie lebt heute in Seattle, wo sie Selbstverteidigung für Frauen unterrichtet sowie Leadsängerin einer Frauenrockband ist, und gilt als eine der vielversprechendsten SF-Autorinnen der Gegenwart.