Das beste, was einem als Freund des ausgewählten Musikgeschmacks passieren kann, ist eine Band, die zu gut für die Schublade wird, in die man sie einmal gesteckt hat. Die holländische Formation The Gathering gehörte einst zum Thrash Metal, wurde dann - dank einer neuen Ausnahmesängerin - zum Gothic-Metal-Act und stellt nun ihr zweites Album in die dritte Schublade der Bandhistorie: TripRock.
"If_then_else" ist nach dem letzten Album "How to Measure a Planet" kein Risiko für die fünf verhältnismäßig jungen Musiker um Frontfrau Anneke van Giersbergen. Das Vorgängeralbum kostete die Holländer eine große Menge ihrer Anhängerschaft, was aus der experimentellen und gänzlich metal-untypischen Gangart des Meisterwerkes aus dem Jahre 1998 herrührt. Den atmosphärischen Charakter hat die Band auch auf ihrem neuen Album beibehalten, wobei sie auch diesmal keineswegs auf harte Gitarren verzichtet. Trotzdem kann man The Gathering einen weiteren Fortschritt attestieren, denn die Instrumentalisten haben es geschafft, den Gesang ihrer Diva in den Gesamt-Sound zu integrieren und ihn nicht mehr als hymnisches Thema nebenher laufen zu lassen, wie es auf dem letzten Album teilweise der Fall war.
Mit Gothic Metal, wie in den Tagen der Verkaufsschlager "Mandylion" und "Nighttime Birds" haben die fünf aus Tilburg nichts mehr am Hut; dieser Spielart stellte sich schon die eher zu elektronischer Musik passende Produktionsweise entgegen. "If_then_else" (ein Begriff aus der Programmiersprache) wurde wie sein Vorgänger im Bauwhaus Studio in Amsterdam aufgenommen, das dem ProTools-Spezialisten Attie Bauw gehört. Bei diesem Aufnahmeverfahren werden Tausende von Sequenzen zu einem Ganzen verknüpft - eine Technik, die unglaubliche Möglichkeiten in sich birgt, aber auch dazu verleitet, den Sinn fürs Wesentliche zu verlieren. So ging es The Gathering beispielsweise noch bei "How to Measure a Planet", doch der Produktion von "if_the_else" kann man anhören, daß die Musiker wesentlich genauer wußten, was sie wollten.
Das neue Album von The Gathering ist eine Schönheit zwischen analogen und digitalen Höchstleistungen. Eine im Rockgeschäft einzigartige Stimme verleiht den elf Songs unbegrenztes Charisma, die Stimmung von Titeln wie "Herbal Movement", "Analog Park" oder "Amity" erinnert an Portishead und Film noir; mit rockigeren Nummern wie "Rollercoaster" (erste Single) oder "Saturnine" können aber auch Gitarrenpuristen befriedigt werden. "If_then_else" ist demnach ein Pflichtkauf für alle Freunde genreübergreifender Klasse.
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