Paul Thomas Andersons neuer Drei-Stunden-Film "Magnolia" ist genauso lang wie ungewöhnlich, aber dank seiner in jeder Hinsicht hohen Qualität wahrscheinlich ein Geniestreich.
Südkalifornien, San Fernando Valley, Magnolia Boulevard. Es ist ein feuchtwarmer Tag, und TV-Produzentenlegende Big Earl Partridge (Jason Robards) flucht sich durch seine letzten Stunden im Sterbebett. Vor gut zehn Jahren hat er seine sterbenskranke Frau verlassen und dem gemeinsamen Sohn Frank deren Pflege überlassen. Jetzt hat auch er Krebs im Endstadium. In einem Anfall von Gewissen trägt er seinem Pfleger auf, Frank ausfindig zu machen. Dieser allerdings ist kaum erreichbar, weil er als prominenter Sex-Guru Frank Macey radikale Männerseminare abhält und überdies nur Haß auf seinen Vater empfindet.
Earl Partridges nunmehrige Frau Linda (Julianne Moore), die ihn des Geldes wegen geheiratet hat, entdeckt unterdessen ihre Liebe zu Earl - und droht an seinen Leiden zu zerbrechen. Sie hastet durch die Stadt, besorgt Medikamente und Morphium, beichtet im Amphetamin-Wahn dem Familienanwalt ihre Sünden (Untreue etc.) und will sich schließlich umbringen, weil sie die Last auf ihrem Gewissen nicht erträgt.
Ungefähr zur selben Zeit trifft ein Streifenbulle auf einen kleinen Rapper, der ihm in Reimen die Lösung eines Mordfalls mitteilen will, aber ignoriert wird. Der Kleine wird Linda Partridge nach ihrem Selbstmordversuch gerade noch rechtzeitig finden und retten. Der Bulle dagegen wird seine Dienstwaffe verlieren und sich in ein kokssüchtiges, vom Vater mißbrauchtes Mädchen verlieben. Der Vater des Mädchens moderiert seit 30 Jahren eine von Earl Partridge produzierte Quiz-Show, in der kluge Kinder gegen Erwachsene antreten, und auch er wird an (Knochenmarks-)Krebs sterben.
Quiz-Kid Donnie (William H. Macy), vor Jahren in ebendieser Show zum Star geworden und seither ein totaler Loser, verliert seinen Job und entschließt sich, seinen früheren Arbeitgeber zu berauben. Als er das gestohlene Geld dann doch wieder zurückgeben will, kommt ihm der Streifenpolizist von vorhin in die Quere, und es beginnt Frösche zu regnen...
Nach "Boogie Nights" drehte Paul Thomas Anderson letztes Jahr diesen höchst ungewöhnlichen Film über die mehrfach verknüpften Schicksale einer Handvoll Leute. Tom Cruise erhielt für seine Rolle als frauenverachtender Sextrainer ("Respect the cock and tame the cunt") einen Golden Globe - und wer seine Meinung über Tom Cruise nach "Eyes Wide Shut" nicht gänzlich überdacht hat, muß sich ohnehin schämen. Julianne Moore ist sowieso die derzeit beste Schauspielerin in Hollywood (und natürlich Britin). Der Rest der Besetzung deckt sich großteils mit jener in "Boogie Nights" und sorgt für durchgehende Qualität.
"Magnolia" ist eine lebensnahe, emotional herausfordernde Abhandlung über Zufälle, über menschliche Schwächen und Fehler, über Leben und Sterben und die vielen Facetten der Liebe. Trotz einiger Längen (kein Wunder bei drei Stunden Laufzeit) schafft er es, seine Zuseher immer wieder in die Handlung zu ziehen. Ein wirklich intensives, äußerst facettenreiches Filmerlebnis, das sich ganz schwer pauschal bewerten läßt - es spricht jeden Zuseher individuell an und sollte am besten persönlich beurteilt werden.
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