Die Verbindung von Eros und Essen ist ein filmisches Lieblingsthema, das einige umwerfende Meisterwerke zeitigte. Lasse Hallströms "Chocolat" gehört trotz Johnny Depp leider nicht dazu – der Geschmack bleibt hier ohne Risiko.
Die sinnlichen Parallelen zwischen Essen und Erotik zählen zu den interessantesten überhaupt und wären filmgeschichtlich mehr als eine Abhandlung wert. Das Naheliegendste ist dabei Schokolade. Sie ist in diesem Bereich mit den ihr zugedachten Attributen und Assoziationen wie Verführung, Sünde oder Zartbitterkeit quasi der Vorschlaghammer. Daher schickt Lasse Hallström, Schwedens erfolgreicher Regie-Export ("The Cider House Rules", "Gilbert Grape"), gemäß der Romanvorlage von Joanne Harris seine schöne und etwas geheimnisvolle Heldin Vianne Rocher (Juliette Binoche) mit ihrer kleinen Tochter Anouk (Victoire Thivisol) in ein bigottes, biederes Dörfchen der 50er Jahre. Der märchenhaft verzauberte Ort Lansquenet-sous-Tannes wird vom dortigen Bürgermeister Comte de Reynaud (Alfred Molina) mit strenger Hand regiert. So ist die Fremde als Alleinerziehende dem lustfeindlichen Sittenwächter schon von an Anfang ein Dorn im Auge. Verstärkt wird die Abneigung noch dadurch, daß sie ausgerechnet in der Fastenzeit in einer alten Bäckerei eine kleine, feine Chocolaterie eröffnet. Deren exquisiten Köstlichkeiten verfallen die Dorfbewohner nach anfänglichem Argwohn scharenweise, denn Vianne erkennt nicht nur mit traumwandlerischer Sicherheit die Geschmackspräferenzen, sondern ihre Schokolade scheint auch eine regelrecht "magische" Wirkung zu haben: Lustlose Ehemänner werden zu leidenschaftlichen Liebhabern, und auch ansonsten wandelt sich alles in fröhliche Heiterkeit und Lebensfreude. Die Zuwendung zu weltlichen Genüssen bedeutet aber auch die Abkehr von den bislang bevorzugten geistlichen. Prompt erklärt der Comte der kochenden Heidin den Krieg, den diese durch die Aufnahme der mißbrauchten Josephine (Lena Olin) und vor allem durch die Liebesaffäre zum Zigeuner Roux (Johnny Depp) noch verschärft. Es passieren also einige Gemeinheiten, aber weil wir hier in einem romantischen und lustigen Märchen sind, kann man sich das Ende an drei Toblerone-Ecken abzählen.
Die Story, die ein wenig an klassische französische oder deutsche Lustspiele der Schulzeit erinnert, hat natürlich eine Vielzahl humanistischer Botschaften im Gepäck, die sich in einer Komödie immer leichter verdauen lassen: Sie heißen Toleranz und Respekt vor Fremden, wenden sich wider falsche Moral und Bigotterie und mahnen dazu, daß man, um ein friedlicherer, besserer Mensch zu werden, auch ein wenig seine physischen Bedürfnisse beachten muß. Diese schlummernden Kräfte – wie könnte es anders sein – können naturgemäß nur Frauen wecken, die schon seit dem Altertum auf der erdigen Seite angesiedelt sind. Und so strapazieren Buch und Film einmal mehr das antiquierte Bild der Ernährerin, der starken Frau, die magisch und naturhaft und demzufolge auch etwas heidnisch, dafür umso erotischer ist. Wer anders ist dazu prädestiniert als eine Französin - und wenn sie noch Juliette "typecast" Binoche heißt, darf sie in einer perfekt maßgeschneiderten Hollywood-Rolle, umgeben von einem soliden Cast (Alfred Molina, Judie "Miss Moneypenny" Dench, Lena Olin, Carrie-Anne "Trinity" Moss), sogar einen Zigeuner seßhaft machen.
Der größte Genuß in diesem Film aber - nämlich Johnny Depp, der einfach immer sehenswert ist - währt bei einem eher schmalen Part nicht lange. So klappen wir das zwar auf Geschmack zielende, aber auch kameratechnisch manchmal leicht ranzige Bilderbuch wieder zu, warten, was die Academy dazu sagt (fünf Oscarnominierungen, u. a. als bester Film) und sehen uns derweil noch einmal "Tampopo" oder "Bittersüße Schokolade" an.