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Alle machen sich Sorgen über die Umwelt. Das beruhigt das Gewissen. Vielleicht spendet man noch Geld für den Regenwald. Danach kann man beruhigt ins Auto steigen und sich einreden, daß der Thunfisch, den man konsumiert, wirklich dephinfreundlich gefangen wurde und daß "Bodenhaltung" auf dem Eierkarton ein Synonym für "glückliche Hühner" ist.
Ty Tierwater ist die Hälfte seines Lebens einer, der die Umwelt nicht mehr und nicht weniger schändet als jede/r x-beliebige andere. Zwar ist er kein besonders tüchtiger Geschäftsmann, aber Geld ist kein Problem. Nach dem Tod seiner ersten Frau, die bei einem ziemlich bizarren Unfall ums Leben kommt, bleibt er mit seiner kleinen Tochter ziemlich geknickt und wesentlich nachdenklicher zurück. Mit der Wucht einer Naturkatastrophe trifft er bei einem Meeting von Umweltschützern, das er aus Fadesse besucht, auf Andrea. So beginnt nicht nur eine stürmische zweite Ehe, sondern auch der Kontakt mit der Organisation "Earth Forever". Und Ty hat nicht die mindeste Ahnung, worauf er sich einläßt. Allerdings steht zu vermuten, daß er das meiste noch einmal genauso machen würde...
Als Ty in T. C. Boyles neuem Roman "Ein Freund der Erde" seine Geschichte zu erzählen beginnt, ist er ein rüstiger Mittsiebziger des Jahres 2025. Alt zu werden ist in nicht allzu ferner Zukunft kein Problem mehr; die Methoden zur Verlängerung menschlichen Lebens haben sich beinahe ins Unendliche gesteigert. Dafür ist die Ozonschicht hin, das Klima spielt verrückt, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist problematisch, und ein Großteil der Tierarten ist ausgestorben. Schöne neue Welt.
Nach langen, dramatischen Zeiten, in denen Ty mit aller Kraft und ziemlich radikalem Einsatz "Earth Forever" unterstützt hat, lebt er nun als Tierpfleger auf dem millionenschweren Anwesen eines ehemaligen Rockstars, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die letzten Exemplare der Löwen, Hyänen, patagonischen Füchse und Honigdachse zu hegen (was, nebenbei bemerkt, für ein paar Leute ziemlich übel ausgeht). Aber Ty ist Kummer gewöhnt, nachdem er einen Großteil seiner Zeit im Knast verbracht sowie seine Tochter verloren hat - und noch dazu von Andrea verlassen wurde. Sie kehrt im Alter zu ihm zurück, und über ihre edlen Motive darf spekuliert werden. Trotzdem funkelt die alte Leidenschaft wieder auf, und inmitten von Devastierung, Tod, Gier und Heuchelei machen die beiden das Beste aus dem, was ihnen vielleicht noch vergönnt ist.
Boyle-Fans einen neuen Boyle zu empfehlen, hieße ohnehin Eulen nach Athen tragen. "Ein Freund der Erde" ist ein wunderbares, berührendes Buch ohne jeden Anflug von Larmoyanz oder Betulichkeit. Es geht nicht darum, das Klischee vom moralinsauren Autor mit dem "kritischen Anspruch" zu bedienen - Boyle erzählt von Menschen, mit all ihren Fehlern, Irrtümern, dem Verwechseln von Ansprüchen mit egoistischer Selbstdarstellung, aber auch von bemitleidenswerten Tieren und ihrer schlechten Laune - und vom beängstigenden Szenario einer zerstörten (Um)Welt, das alles andere als utopisch ist. Und das alles tut er in seiner bewährten Tradition des trockenen Humors, des ironischen Feinschliffs - und unglaublich sympathisch.
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