Die analytische Auseinandersetzung mit François Truffauts Filmversion des Bradbury-Romans "Fahrenheit 451" zählte lange Zeit zum Standardrepertoire Intellektueller, deren cineastische Weisheit das Kino letztendlich auch nicht weiterbrachte. Dabei ist der Streifen gar nicht so langweilig wie sein Ruf.
Sicher, einmal im Jahr wird Truffauts "Fahrenheit 451"-Interpretation im Fernsehen ausgestrahlt. Doch leider weilen rechtschaffene Menschen just zur Sendezeit in Abrahams Schoß; und weniger Rechtschaffene haben besseres zu tun. Mit anderen Worten: Die mediale Breitenwirkung einer der schönsten SF-Verfilmungen der 60er Jahre läßt durchaus zu wünschen übrig, und - weil wir gerade beim Thema sind - von Mel Gibsons geplantem "Fahrenheit"-Remake hört man auch nichts mehr...
Ray Bradburys von klugen Menschen gern als Anti-Utopie bezeichneter Roman spielt vor dem Hintergrund des medial omnipräsenten Überwachungsstaats, in dem vor allem die stumpfe Gleichheit aller Bürger zum obersten Prinzip erklärt worden ist. Diese wenig verlockende Zukunftsvision lieferte Truffaut 1966 den optimalen Plot für eine Auseinandersetzung mit der Science Fiction. Und seine thematische Zuwendung durfte sogar um einiges tiefgründiger ausfallen als normalerweise im Genre üblich. Es mochte durchaus im Sinne des Miterfinders der Nouvelle Vague gewesen sein, daß Bradburys Roman ohne technische Raffinessen wie Raumschiffe, urzeitliche Monster und dergleichen auskommt.
Ein simpler Feuerwehrmann namens Montag (Oskar Werner) steht im Mittelpunkt des Geschehens, das sich im Grunde um eine konkrete Fragestellung dreht: Bei welcher Temperatur beginnt Papier zu brennen? Denn - so nebensächlich der "feurige" Aspekt auf den ersten Blick erscheinen mag - haargenau bei 451 Grad Fahrenheit lösen sich literarische Werke, die bekanntlich den Geist des Volkes vergiften, im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch auf. Dieses unumstößliche Naturgesetz nützen die Träger staatlicher Gewalt, um dem Intellekt der Bürger den Garaus zu machen. Bücher sowie alles, was aufkeimende philosophische Auseinandersetzung auch nur im Ansatz ermöglicht, werden zum Raub der Flammen. Und damit alles recht professionell und sauber vonstatten geht, gibt es die gute alte Feuerwehr, die bei Bradbury keine Brände verhindert, sondern diese vielmehr legt. Bei dieser - im Sinne der sozialen Hygiene - wertvollen Tätigkeit des Bücherverbrennens tut sich besonders Feuerwehrmann Montag hervor. Und das aus gutem Grund: Die monetären Verhältnisse sind noch nicht optimal gelagert, und schließlich will man schon bald in ein größeres Haus übersiedeln. Fehlt also nur die Beförderung nebst Gehaltserhöhung zum Glück...
Doch das Schicksal nimmt wie so oft einen gänzlich anderen Lauf: Eines Tages lernt Montag Clarissa kennen. Die junge, attraktive Frau erinnert ihn an seine Gemahlin (was nicht verwundern mag - wir sehen Julie Christie in einer bemerkenswerten Doppelrolle), wenn auch nur optisch. Mental besitzt die junge Dame im Gegensatz zum frustrierten Eheweib ein gesundes Maß an Neugier. Die überträgt sich letztendlich auf Montag und bringt ihn auch recht schnell auf Gedanken, die so ganz und gar nicht mit der staatlich verordneten Glückseligkeit zu vereinbaren sind: Ist denn die Ehefrau, die sich rund um die Uhr vom staatlich kontrollierten Fernsehen berieseln läßt und nebenbei eine beachtliche Menge Tabletten schluckt, tatsächlich die richtige Lebenspartnerin? Noch bevor Montag die Antwort finden kann, kollidiert das bereits wankende Weltbild mit einer zweiten nicht ungefährlichen Frage: "Was steht eigentlich in den Büchern, die tagtäglich dem Feuer der Obrigkeit und seiner Häscher anheimfallen?" Montags Suche nach der Wahrheit endet in einer fieberhaften Auseinandersetzung mit der verbotenen Literatur und gleichermaßen in einem Beziehungsdebakel. Die Gattin will ihn verlassen, was nicht so schlimm wäre - problematisch ist hingegen, daß sie Montag bei den Behörden denunziert ...
Truffaut realisierte das Projekt um die simple, aber treffsichere "Wer nicht liest, läßt sich vom System über den Tisch ziehen"-Metapher in den englischen Pinewood-Studios; und es mag am Budget oder auch an seiner künstlerischen Auffassung des Stoffes gelegen haben, daß er mit "Fahrenheit 451" seinen ersten Farbfilm drehte. Gott sei Dank, kann man da im Nachhinein nur sagen! Denn neben dem gewohnt jenseits von Gut und Böse agierenden Burgmimen Oskar Werner und der unvergleichlichen Julie Christie bietet der Streifen noch etwas Tolles: nein, nicht Bradburys aus heutiger Sicht zu überdenkende Hypothesen, die man ja im sozialwissenschaftlichen Kontext mit der versammelten Intelligenzija des Proseminars zu Tode diskutieren könnte, sondern das schönste und knalligste Feuerwehrauto der Welt!
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen ...
Herzlichst, Ihr
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