Vor seiner Haustür findet Wladimir Kaminer die Themen für seine Kurzgeschichten-Sammlung "Russendisko". Mit einem unerschütterlichen Blick fürs Wesentliche berichtet er vom Zusammenleben der multikulturellen Gesellschaft Berlins.
In der Berliner Kultur- und Clubszene ist der russische Emigrant Wladimir Kaminer schon lange ein Begriff. Vor zehn Jahren kam der studierte Tontechniker aus Moskau nach Berlin, wo er seine erste Zeit in einem Ausländerheim in Marzahn untergebracht war und später eine Wohnung am Prenzlauer Berg bezog. Innerhalb kürzester Zeit lernte er Deutsch und begann wenige Jahre später zu schreiben. Egal ob Printmedien oder Rundfunk, mittlerweile reißen sich von der "Frankfurter Allgemeinen" bis zum SFB alle um seine Kolumnen und Kurzgeschichten. Nebenbei ist der 33jährige noch als Kulturkritiker tätig, ständiges Mitglied der "Reformbühne Heim & Welt", und einmal im Monat lädt er im Kaffee Burger zur legendären "Russendisko" - einem Tanzabend mit russischen Hits unter dem Motto "Wildes Tanzen in den Jahrestag der großen Oktober-Revolution", wo sich jedes Mal aufs Neue unter Beweis stellt, wie beachtlich die Russen feiern können.
In der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung "Russendisko" erzählt er in knapp 50 Alltagsgeschichten vom Leben der multikulturellen Gesellschaft in Berlin und würzt seine Erzählungen mit gewitzten, manchmal auch absurden Kommentaren. Seine Geschichten erfindet Kaminer nicht; er erzählt persönliche Anekdoten, die er selbst erlebt hat, skurrile Vorkommnisse, die er in seinem großen Freundeskreis beobachtet hat.
So liest man von illegalen Russen, die durch einen waghalsigen Sprung aus dem Fenster der Abschiebung entgehen wollen, leichtgläubigen Esoterikopfern, die schließlich in der Psychiatrie enden, und einem vietnamesischen Gemüsehändler, der sich durch eine Dauerwelle an den Westen anzupassen versucht. Man bekommt über die Probleme bei der Suche nach einer Scheinehenpartnerin ebenso wie über die Unterschiede zwischen russischem und türkischen Telefonsex zu hören; auch von den Tarnungen der Restaurantbesitzer Berlins (die Chinesen sind in Wirklichkeit Vietnamesen, die Inder Tunesier usw.) erfährt man einiges - der Autor läßt so gut wie keinen Vorfall und keine Beobachtung in seinem Umfeld aus.
Kaminer hat die beachtliche Fähigkeit, die Themen und Ereignisse, die er vor seiner Haustür entdeckt, mit wenigen Worten unterhaltsam auf den Punkt zu bringen. Seine Überzeichnung des Alltags in Berlin und die Erinnerungen an das Leben im "postkommunistischen Frühkapitalismus" Rußlands sind zum Großteil sehr amüsant, ironisch und kurzweilig; ein wenig mehr Abwechslung und Tiefgang hätte dem Buch allerdings nicht geschadet.
Zur Zeit liegen noch keine Kommentare vor.
|