Literarische Konspirations-Feinschmecker schwören auf Thomas P. Doch das Genie spielt seit drei Jahrzehnten Haschmich mit seinen Fans. Die letzte Sichtung anno ´98 ist verschwommen und pixelig: Das Phantom Pynchon verschwindet zusehends hinter der begrenzten Möglichkeit seiner Darstellung.
Entweder man liebt seine Bücher oder man findet sie unlesbar. Oder man tut beides - denn bei Thomas Pynchon ist jeder Satz und jeder Abschnitt ein Genuß. Doch hat man erst ein paar hundert Seiten gelesen, fragt man sich unwillkürlich, worum es eigentlich geht; das macht seine Romane nicht gerade zu "Page-turners". Eine Handlung ist zwar da, doch wirklich passieren tut selten etwas. Was nichts an der Begeisterung Eingeweihter ändert, Pynchon zu empfehlen, zu lobpreisen und zu verschenken.
Die Lektüre sollte mit seinem Erstling "V." (1963) beginnen: Da geht der Held den schier zahllosen Hinweisen auf ein Geheimnis nach - doch sie führen alle ins Nichts. Das Objekt der Suche, eben jener mysteriöse V., bleibt verschwunden, und auch andere Dinge in diesem Roman verschwinden dadurch, daß jemand sie sucht. Im vergnüglichen Kurzroman (nur 200 Seiten!) "Die Versteigerung von Nr. 49" ("The Crying of Lot 49"; 1966) muß die Heldin ein Testament vollstrecken und gerät dadurch auf die Spur gleich zweier Verschwörungen. (Die allgemeine Paranoia dieses Romans wurde übrigens später in der Pop-Trilogie "Illuminatus!" unterhaltsam durch den Kakao gezogen.) Natürlich ist auch hier die Suche vergeblich. Vergeblich ist auch die Suche nach Hinweisen auf Nr. 49 im neuen Film "Thomas Pynchon - A Journey into the Mind of [P.]", obwohl der Waschzettel sie versprach. Absicht?
Sinnlose Spurensuche kann Romane und auch Dokumentarfilme füllen. Der geheimnisumwitterte Autor hat sich bereits 1962 aus dem öffentlichen Leben verabschiedet. Er gibt seitdem keine Interviews und läßt sich nicht ablichten; kaum hat ihn jemand aufgestöbert, zieht er um. Adresse unbekannt. Angesichts penetranter Abwesenheit fällt es einer Dokumentation wie dieser freilich schwer, echtes Dokument zu sein. Zu Wort kommen daher Kollegen und Kritiker, eine Geliebte, ein paar Fans und angebliche Augenzeugen. Einige sprechen von ihrer Begegnung mit Thomas Pynchon wie von einer mystischen Erfahrung; andere sind der Meinung, Pynchon selbst sei Teil einer Regierungsverschwörung, sein Werk eine Waffe der psychologischen Kriegsführung oder ein Schuldbekenntnis.
Aha. Ist am Ende gar was dran? Immerhin widmet sich Pynchons Hauptwerk "Die Enden der Parabel" ("Gravity´s Rainbow"; 1973) dem Krieg, den Drogenexperimenten des Militärs, dem militärisch-industriellen Komplex und seinen Geheimdiensten sowie der Paranoia vor und während des Cold War. Die Zahl der Personen, Verknüpfungen und Anspielungen in dem Tausendseiter ist so ungeheuer groß, das es sich einige Fans zur Lebensaufgabe gemacht haben, das Werk für andere Leser zu entschlüsseln. Hypertext, sagt einer im Film, sei die einzige angemessene Form für Pynchons Romane. Mag sein, doch trösten ein paar Militärtrickfilme zum Thema ballistische Raketen und schwarzweiß-körnige Schnipsel rund um V2 und Peenemünde nicht darüber hinweg, daß die Doku nichts zeigt, was man auch als gemäßigter Pynchonit nicht ohnehin schon gewußt hätte.
Der Autor will eben unsichtbar bleiben, und das versucht der Film von Fosco und Donatello Dubini auch zu vermitteln. Dazu passend stammt die Tonspur von The Residents, die sich ihrem Publikum ebenfalls nicht zu erkennen geben - seit fast 25 Jahren verstecken sich die Musiker hinter Masken. Ist Pynchon gar Band-Mitglied? Egal. Mit drei authentischen Fotos des Mannes läßt sich jedenfalls kein Abend füllen. Entsprechend täuscht der Untertitel "A Journey into the mind of [P.]": Wir erfahren nichts über Pynchon, nichts über seine Bücher, nichts über seinen Verstand. Die Gebrüder Dubini haben vielmehr einen Film über Fans gemacht. Anfangs klingen diese noch wie normale Anhänger, doch zum Ende hin geraten ihre Aussagen immer paranoider: Erwachsene Personen deuten mit ernster Miene auf elektronisch vergrößerte Videoaufnahmen, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht, Thomas Pynchon zeigen. Sie lesen aus dem Kugelschreiber in seiner Hemdtasche die Autorenschaft heraus und rätseln über das verschwommen erkennbare Symbol auf der Baseball-Mütze. Ein Posthorn? Das alles erinnert in seiner Lächerlichkeit an "Akte X"-Folgen mit den Lone Gunmen, bei denen Fox Mulder sich aktuelle Verschwörungs-News holt.
Schon zu Beginn suggeriert der Film, Pynchon habe im selben Bus gesessen wie Lee Harvey Oswald, der JFK erschoß und damit Teil der großen Verschwörungstheorien ist. Später heißt es in Interviews, Leary sei ein Agent der Regierung gewesen, um für den Staat LSD-Experimente durchzuführen. Die Autoren zeigen uns Leary, sie zeigen uns LSD-Experimente. Bloß den Pynchon, den zeigen sie uns nicht. Man kann eben nichts über einen Unsichtbaren sagen, und der Dubini-Film tut leider genau das. Er ist damit bestenfalls pynchonesk und wirklich nur etwas für die ganz harten Fans, die Anekdoten sammeln wie ein Magnet die Büroklammern. Zum Beispiel die Story vom National Book Award, zu der Fans einen Pynchon-Ähnlichkeits-Wettbewerb veranstalteten: Natürlich wußte keiner, wie Pynchon aussah, daher war der Wettbewerb eine Farce - aber er sollte den Meister neugierig machen und ihn anlocken. Was vielleicht, vielleicht aber auch nicht, gelang.
Wir wissen es nicht.