Cronenberg the Hard Way

"Emmanuelle in America", ein episches Unikum über neurotische Sexualenergie mit hohem Kultfaktor, jetzt endlich ungeschnitten auf DVD.

Ein Fickphilosoph, so etwas wollte Joe d´Amato mit diesem Ausnahmewerk sein. In der ohnehin derben Filmgeschichte Italiens der Siebziger war er der Regisseur gewordene Pöbel. Bekannt durch dumpfbackige, auf 90 Minuten aufgeblasene Extreme wie den aus dem Schwangerenbauch gerupften Foetus in "Man Eater", die erotisierte Obduktion aus "Buio Omega" und das Ständer schwenkende Nuklearmonster von "Porno Holocaust", nimmt er berechtigt den Platz der letzten Pfeife unter den Granden der Italo-Splatter-Sexploitation ein.

Zwei wesentliche Dinge aber hat der 1999 vom Herzkaspar weggeraffte Joe (bürgerlich Aristide Massaccesi) der Nachwelt hinterlassen. Zum einen hat der den Sleaze-Thron einer der sagenhaft schönsten Frauen der Zelluloidhistorie gezimmert: des indonesisches Models Laura Gemser, das nach dem Studium in Utrecht und dem Aufstieg zum begehrtesten Centerfold der frivolen Euro-70er (Lui, Playmen) als aparte schwarze Emmanuelle zu Weltruhm kam. Und zweitens hat er sich mit seinem einzigartigen Stil, einer rücksichtslosen Kombination aus Blut-und-Darm-Brutaleffekten und Hardcore-Sex, auf Film verweigt. Heute schwärmen zwar Starrregisseure wie Lars von Trier und David Cronenberg von seiner äußersten Bildkonsequenzen, wahre Begeisterung traut sich jedoch niemand zu zeigen.

Die Filme der "Emmanuelle"-Hauptreihe (mit Silvia Kristel) wirkten noch eher wie Reisefilme für Sextouristen. Bei Laura Gemser schlugen die Glocken deutlich anders. Ihre Rolle bestimmt sie als aktive und starke, wissende, strategisch wie neugierig geile Powerlady. Keine Spur vom verhärmten Weibchen, dessen Suche nach Individualität und Freiheit mittels sexueller Energie bereits nach ein paar Querpuderien in Blütenweiß absäuft. Als umtriebige Journalistin erkämpft sie sich ihren Weg allein und weiß im Ober- wie Unterstübchen, wo es langgeht. Der Schulterschluß mit der feministisch angefärbten US-Exploitation eines Roger Corman lag nahe: Pam Grier oder Claudia Jennings gaben die waffenschwingende Emmas mit platzenden Blusen, um auch Frauen in das Bahnhofskino zu locken. Für Laura reichte allein der Körper als Mittel zur Verteidigung und Forschung.

Dabei schnupfte Miss Gemser als wissbegierig hippiesker Schmetterling auch mal eine ganze Fußballmannschaft, damit im Nachtzug keine Langeweile aufkommt. Hardcore freilich gab es keinen. Die großen Kinos spielten nur Soft-Versionen. Und für die Schmuddelverwertung schoß D´Amato meist ein paar handfestere Aufnahmen nach, die Laura aber stets verweigert hat. Die Amerika-Episode verpflichtete sich der etwas anderen Touristik-Welle des Mondo-Movies, der im Dokumentarstil in echten und gestellten Vignetten die Perversionen und kleinen Ekelmomente des Lebens zusammenhäufte.

Natürlich muß es in New York, Trademark-Träger des verkommenen Großstadtmolochs, beginnen. Laura ist alles, was glitzernden, professionistischen Lifestyle bestimmt: Modefotografin, Starjournalistin, rastlose Forscherin. Sie ermittelt in Landgütern und Militärcamps nach den Dekadenzen der urbanen Kapitalgesellschaft: Landsitze voller High-Class-Sexsklavinnen, Peitscherlspiele, Snuff und Pony-Masturbation in allen expliziten Details. Das Softsex-Prinzip des phlegmatischen Entdeckens wurde hier über Bord geschmissen. Alles, was Emmanuelle begegnet, erscheint dämonisch, herzlos, affektiert, widerlich - Widerstand statt Orgasmus. In anderen Werken hätte sich Laura mit freudigem Hurra in die ineinander verwuselte Menge gestürzt, hier beobachtet sie aus verschreckter Distanz. Und immer, wenn sie direkt mit der Perversion verkehren muß, entlädt der Film eine nie zuvor gesehene finstere Sexuallogik und inszeniert (wesentlich intensiver als Cronenbergs „Crash“) die brütenden menschliche Neurosen, die sich nur mehr in körperlichem Machtkampf und gegenseitigem Verschlingen Luft machen können. Ganz am Anfang will ihr in NYC ein „Taxi Driver“-artiger Youngster die bezaubernde Rübe wegballern. Kaum beeindruckt von der Waffe schenkt sie ihm ein kumpelhaftes Lächeln und bläst ihm als Demonstration positiver Sexualität einen. Er reagiert mit einem Nervenzusammenbruch und rennt schreiend weg.

Richtig berüchtigt aber wurde dieser Kreuzgang durch eine aus den Fugen geratene Welt für seine hyperrealistische Snuff-Umsetzung, wo abgewrackte Army-Wear-Prolls foltern und gangbangen, Brüste mit Messern verstümmeln und Vaginalpfählungen mit Eisenstangen exerzieren, während High-Society-Zombies dazu wohlig grunzen. Am Ende bleibt nur Emmanuelles Flucht auf eine Insel im Nirgendwo, wo sie sich vor den Furchtbarkeiten der Zivilisation zurückziehen will. Doch auch hier wartet in einer linkischen, unlustig inszenierten Anspielung auf „Cannibal Holocaust“ bereits das Mondo-Filmteam, das das Glück der Abgeschiedenheit filmen, manipulieren und für Kommerz mißbrauchen will. Die Medien als letzte Instanz des menschlichen Kannibalismus, der sich selbst fressen muß - es ist keine Flucht für „eine reine Liebe“ möglich, nur Einsamkeit und Mißbrauch spiegeln das wahre Leben wider.

Wieviel davon in "Emmanuelle in America" geplant war, ist fraglich. Story und Bilder sprechen dennoch für sich, und D´Amato bestärkte in Interviews seine Ambitionen. Als Masturbationsunterlage floppte das natürlich ganz fürchterlich und wurde schnell in etlichen Ländern - England und Deutschland voran - verboten. Das kleine deutsche Video/DVD-Label Astro hat sich unter schwerster Anfeindung der Indizierungsstelle die Arbeit angetan, eine Integralfassung herzustellen. Eine unschätzbare filmarchivarische Leistung, die aus den obskursten Ecken alle Blut- und Erektionsmomente vereint hat. Das ist vorläufig limitiert auf 3000 Stück und nur für Österreich veröffentlicht, da sonst die Polizei ans Türchen klopft. Natürlich leidet die Bildqualität durch die verschlungenen Herkunftswege. Die Farben sind meist blaugrün-stichig und ausgewaschen, und der Ton rauscht teils stark. Aber dieser Film ist eines der bewegendsten, beklemmendsten, unfreiwillig intelligentesten Stücke Exploitation, die das Kino je hervor gebracht hat - und bei der heutigen Abwesenheit des sozialen Entdeckungsdrangs keinesfalls mehr wagen würde.

Uns bleibt nur die bescheidene Hoffnung, den Technokratenwahn des 21. Jahrhunderts mit dem Spruch zu überleben, den Emmanuelle zur Seelenreinigung ständig im Kopf haben muß: Ficken heilt alles. Amen.

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dfohabk
(hawk, 29.04.2004 13:34)