Eine Kopie, die das Original übertrifft - was auf Anhieb wie als Paradoxon anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Phänomen, welches zwar nicht oft auftritt, aber gerade dann besonders zu begeistern versteht.
Natürlich war die Spannung groß. Alle fragten sich, ob das neue Phoenecia-Album "Brownout" an Meilensteine wie Randa Roomet (Warp 1997) heranreichen würde, war man sich doch nach den beiden 12inch-Singles "Odd job" und "Odd job remixed" gar nicht mehr so sicher. Überhaupt stellt dieses "Randa Roomet" einen generellen Ankerpunkt, ein Bookmark, dar. Kalte Technik begann zu fühlen, Computer lernten zu denken.
Was an Künstlern wie Phoenecia sofort ins Ohr geht, ist der Hang zur assoziativen Abstraktion. Ein Ton ist nicht nur ein Ton, und Rauschen nicht immer weiß. Wenn es den Begriff "Bionik" in der elektronischen Musik gäbe, könnte Phoenecia ihn für sich in Anspruch nehmen. Organisch entwickeln sie ihre Klangteppiche, lassen dumpfe Beats wie stammelnde Gebetsmühlen ruckeln und granulare Mäander sich selbst verschlingen.
Und "dark" ist auch so ein Zauberwort. Das Sickergas kriecht unter der Türschwelle durch, und im Nebenzimmer rauscht ein Fernseher ohne Antenne. Die prickelnde Spannung ist immanent und erinnert an Exkursionen mit Seti oder dem hierzulande völlig unbekannten "Deadpan Escapement" (Context FM 2000, wofür Phoenecia sogar einen Remix beisteuerten).
Das Tempo auf "Brownout" ist anschaulich schunkelnd, etwa so wie auf Autechres "Chichli Suite", nur wie gesagt organischer - und gelegentlich experimenteller. Dort, wo Matmos exzentrische Klangforschungen ("A chance to cut is a chance to cure", Matador 2001) enden, beginnt Phoenecias Welt erst, verstörend und bedeutsam zugleich.
Als Labelkollegen der Noise/Zerhack/Reaktor-Programmierer Richard Devine und dem eigentlich unmusikalischen Otto von Schirach ist es für Josh Kay und Romulo Del Castillo schwierig, eigene musikalische Territorien und Spielwiesen abzustecken. Umso beeindruckender ist es, mit welcher Perfektion hier schwere Kost umgesetzt wird, ohne auch nur einen Milimeter vom ursprünglichen Konzept abzuweichen. Hut ab!
Das über 70 Minuten dauernde Album erinnert stellenweise wirklich an Autechre, aber trotzdem wirken hier die Sounds irgendwie frischer, frisch gestrichen sozusagen. Vielleicht erklärt das auch das seltsame Artwork des Covers. Wie ein Pestizid breitet sich braune Farbe über die Stadt, die Welt, alles. Die Gedanken schweifen zu "Another Brown World" von Coil, dazu paßt auch die omnipotente Paranoia und die Düsternis, die jeden Abend aus der Kanalisation hochsteigt, gerade rechtzeitig zu Beginn von "Akte X".
Daß das alles selbsverständlich in höchster Auflösung in Cinemascope-Stereo und neuro-psychedelisch daherkommt, versteht sich von selbst. Vielleicht ist an dieser Stelle noch zu erwähnen, daß der Hörgenuß in völliger Nüchternheit am größten ist. Auf Trip sollte man auf keinen Fall auch nur daran denken, diese Platte aufzulegen, und zum Kiffen ist wahrscheinlich zuwenig "Space" vorhanden.
Phoenecia machen mit ihrem neuen Album einmal mehr klar, wie weit die elektronische Avantgarde im dritten Jahrtausend gehen kann. Fraglich ist, wer sich freiwillig solch anspruchsvolle Tiraden anhört. Mit Sicherheit all jene, die von Bands wie Autechre, Matmos, While (und wie sie alle heißen) nicht genug kriegen können und im elektronischen Experiment schon immer mehr als den Hort oberflächlicher Wohlbefindlichkeit suchten.