"Moderne Horrorautoren" ist das erste literaturkritische Standardwerk zur zeitgenössischen Phantastik. Nach Band 1 (siehe Evolver Rezension) beschäftigt sich S. T. Joshi im zweiten Teil sowohl mit den traditionellen Spielarten als auch mit den Randerscheinungen des Genres und geht der Frage nach, ob Hannibal Lecter oder der American Psycho tatsächlich dem Genre zuzuordnen sind oder der Kriminalliteratur angehören.
Nach Stephen King, Clive Barker, Les Daniels oder T.E.D. Klein steht im Vordergrund des zweiten Bandes dieser Sekundärliteraturreihe der britische Autor Ramsey Campbell. Im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt, gilt er Fans der unheimlichen Phantastik als einziger legitimer Nachfolger von Größen wie H.P. Lovecraft, Algernon Blackwood oder Arthur Machen.
Joshi widmet seinem Lieblingsautor fast ein Drittel des gesamten Buches und gibt einen einmaligen Überblick über das umfangreiche Werk dieses Ausnahmetalents. Campbell versteht es wie kein anderer lebender Autor, das Grauen subtil in das Geschehen seiner Romane und Geschichten eindringen zu lassen. Er nimmt dadurch eine deutliche Sonderstellung in der modernen Horrorliteratur ein, die reißerisch und blutig ihre Protagonisten dahinmetzelt. Besondere Beachtung findet bei Joshi überraschenderweise Campbells eher unbekannte Novelle "Needing Ghosts" - ein verstörender Text, der in alptraumhaften Bildern die langsame Erkenntnis eines Romanautors beschreibt, daß er seine Frau und seine Kinder in einem Anfall von Wahnsinn ermordet hat.
Mit Thomas Tryon rezensiert Joshi einen weiteren Könner des Genres, der im deutschen Sprachraum weitgehend übersehen wird: "Harvest Home" ist ein Meisterwerk der psychologischen Spannung und beschreibt einen verschlafenen Ort mitten am Lande, an dem die Einwohner an alten heidnischen Bräuchen festhalten. Thomas Ligotti hingegen dürfte bereits auch hierzulande ein bekannterer Name sein. In seinem gesamten Werk findet sich kaum ein Text mit herausragender Handlung, denn Ligotti lenkt all sein Augenmerk auf Atmosphäre und Stimmung. Joshi sieht in ihm eine große Hoffnung für das Genre, allerdings nur dann, wenn jener ein wenig zu traditionelleren Strukturen zurückkehrt und sein Talent nicht nur in fragmentarischen Texten verschleudert.
Ein anderer Teil des Buches beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit sich Kriminalroman und Horrorstory überschneiden können. Rein A. Zondergeld behauptet in seinem ausgezeichneten "Lexikon der phantastischen Literatur", daß so mancher literarische Massenmörder durchaus im Bereich der Phantastik Platz hat, denn so übermenschlich seien oft ihre Fertigkeiten und so makaber ihre Ideen, daß sie in der Welt der Realität eigentlich keine Entsprechung mehr finden können. Joshi nimmt Robert Blochs "Psycho", Thomas Harris´ "Das Schweigen der Lämmer" oder auch Bret Easton Ellis "American Psycho" unter die Lupe und kommt zum Schluß, daß doch rein dem Krimigenre angehören. Egal, wie man darüber selbst denkt: seine Analysen zu den einzelnen Werken sind messerscharf, pointiert und decken Stärken und Schwächen der genannten Autoren gleichermaßen auf.
Des weiteren kommen auch Vielschreiber wie Anne Rice oder Peter Straub zum erneuten Handkuß, denen er attestiert, daß sie nicht annähernd so gut schreiben, wie sie glauben. Mit Dennis Etchison, David J. Schow und dem großartigen Robert Aickman wird der zweite Teil dieser Welterstveröffentlichung abgerundet; er deckt gemeinsam mit Band 1 ein überaus breites Spektrum der modernen Horrorliteratur ab. Ist Joshi auch manchmal zu sehr an seinem eigenen Weltbild und Geschmack orientiert, so bleibt er größtenteils doch relativ objektiv und kann auch an Autoren, deren Werk er offensichtlich gar nicht schätzt, das eine oder andere gute Haar lassen. Seien wir darüber froh, denn sonst hätte die Welt einen zweiten Reich-Ranicki, und das braucht sie garantiert nicht.
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