Zwei Jahre nach dem Soundtrack zu "Downhill City" kredenzen uns 22 Pistepirkko, die dienstältesten unter allen finnischen Exzentrikern, ein neues Album. "Rally Of Love" bildet unter tatkräftiger produktionstechnischer Mithilfe von Herrschaften wie Alex Gopher oder Jori Hulkkonen nichts weniger als den Versuch, dem Status des ewigen Geheimtipps zu entfliehen.
22 Pistepirkko muss man einfach mögen. So wie man eigentlich alle schüchternen Hinterwäldler mit Hang zu ausschweifendem Alkoholexzess und überdrehter Exzentrik schätzen und mögen muss. Punkt. Unendlich dankbar musste man 22 Pistepirkko sein für völlig neben der Spur liegende Suff-Blues-Opern wie "Tired Of Being Drunk", mit so begnadeten Textzeilen wie "I’m tired of being drunk, so tired of being drunk, my grandpa on a railways, me in the highways". Der optimale Soundtrack für die Lebensbereiche "Im Suff gegen Straßenlaternen laufen" und "Sonntagnachmittags verkatert im Bett rumliegen" war das. Keiner konnte das Lebensgefühl in der Alltagshölle (nicht nur) der finnischen Einöde so präzise auf den Punkt bringen wie Sänger P-K Keränen - mit Versen wie "After working so hard, you came home so late, that’s great, your supper is cold, your wife at dope" (aus "You‘re Mine" vom Album "Bare Bone Nest"). Ganz groß.
Musikalisch ausgestattet wurde der immer den entscheidenden Ton danebenliegende Gesang P-K Keränens (das kann nicht mal Stephen Malkmus so schief) von dessen Bruder Asko und dem Kollegen Espe Haverinen mit einem höchst sympathischen Gemisch aus Lo-Fi-Pop, verschwitzten Garage-Punk-Versätzen, Billig-Synth-Programming, swingenden Orgeleskapaden und allem, was in den Anfällen schöpferischem Wahnsinns gerade so bereitstand. Grundstimmung dabei immer: grundsätzlich dem Wahnsinn und der Exzessivität verpflichtet, nichtsdestotrotz im Innersten leidend und sehnend, das Gefühl der Melancholie, der Alltagsblues immer im Raum schwebend. Musste man einfach mögen. Doppel-Punkt.
Das Problem 22 Pistepirkkos, im übrigen benannt nach einem gelbem Marienkäfer mit der Nummer 22, dem Kaksikymmenntä Kaksi Pistepirkko (in Finnland macht man das anscheinend so), war auch nie mangelnde Beliebtheit unter Anhängern, sondern schlichtweg mangelnde Bekanntheit und die damit verbundenen, eher mittelprächtigen Verkaufszahlen. So ließ man aus Anlass des 20jährigen Bandjubiläums (bereits 1982 wurden 22 Pistepirkko zur finnischen Band des Jahres gewählt) zur Produktion ihres neunten Albums "Rally Of Love" einige prominente Namen im Studio antanzen. Unter Mithilfe von Cardigans’ Tore Johansson und Per Sunding wurde der Gesamtsound in etwas geordnetere Bahnen gelenkt, Ecken, Kanten und Überhang weggefeilt, und die Housemeister Alex Gopher und Jori Hulkkonen sorgten für ausgefeilteres Programming. Wobei lobend hervorzuheben ist, daß vor allem der Beitrag des finnischen Landsmanns Hulkkonen "I‘m A Moon Around You" zu richtiggehender Schönheit gedeiht.
So ist "Rally Of Love" auch keine richtige Enttäuschung geworden, es überrascht eigentlich nur, dass einen hier nichts mehr überrascht. Übrig bleibt die Erkenntnis, daß nach "all these years next to quicksand and all these years next to suicide" (aus "Quicksand") 22 Pistepirkko wohl so etwas wie ihre innere Mitte gefunden haben - und diese jetzt in einer homogeneren Sound-Ästhetik und stringenteren Arrangements ihren musikalischen Ausdruck findet. Es sei ihnen von Herzen vergönnt.
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